Lydia Cacho Ribeiro schreibt in Mexiko gegen Kinderpornografie und Korruption an – und setzt dafür ihr Leben aufs Spiel. Ein Porträt für den STANDARD:
„Die Behörden haben tadellos gearbeitet“: Dieser Stehsatz ist nach Kinderporno-Skandalen, Missbrauchsfällen und Vergewaltigungen auch in Mexiko beliebt. Lydia Cacho Ribeira (43), Preisträgerin des Unesco-Preises für Pressefreiheit 2008, hat ihn nie geglaubt – wie viele. Aber als eine der wenigen hat sie es nicht dabei belassen – und nachgebohrt. Seit sie im Jahr 2003 einen Kinderporno-Skandal in ihrer Heimatstadt, dem Badeort Cancún, aufgedeckt hat, hat sich ihr Leben in eine Hölle verwandelt: Sie wurde entführt, verhaftet, der üblen Nachrede angeklagt und verlor einen Prozess gegen die involvierten Politiker vor dem Obersten Gerichtshof. Sie lebt mit ständigen Morddrohungen gegen sich und ihre Familie.
Nie aufgehört zu schreiben
Aufgehört zu schreiben und aufzutreten hat sie jedoch keinen Tag lang. „Sie wollten sie zum Schweigen bringen, aber sie haben das Gegenteil erreicht“, schreibt ein Kollege in der Tageszeitung Universal. „Ihr konntet mich nicht zerstören“, schreibt sie selbst trotzig und stolz. Lydia Cacho glaubt an die Macht der Öffentlichkeit. „Dieser Preis kann mich wohl nicht vor Morddrohungen oder dem Tod selbst schützen. Aber er hilft sicherlich, mein geschriebenes Werk zu schützen und einer breiten Öffentlichkeit die Auswirkungen von Menschenhandel und Kinderpornographie näherzubringen“, begann sie ihre Dankesrede bei der Preisverleihung am 3. Mai in Mozambique.
Lydia Cacho hat ihr soziales Engagement von der Mutter, einer deklarierten Feministin, die sie schon als Kind in die Elendsviertel von Mexiko-Stadt mitnahm. „Wenn du Zeugin von etwas wirst, dann hast du Verantwortung dafür übernommen“, schärft die Psychologin ihrer Tochter ein. Mit Mitte 20 übersiedelt Cacho in die Tourismus-Metropole Cancún, wo sie eigentlich beschaulich malen und Romane schreiben wollte. Doch sie kann den Blick hinter die Fassade nicht vermeiden. Sie schreibt in Lokalzeitungen über AnwohnerInnen, die für Hotelprojekte vertrieben wurden und deren Kinder an Hunger sterben. Sie erzählt die Geschichten der Prostituierten im Nobel-Badeort, schreibt über Aids. Der Gouverneur interveniert und sagt: „Es gibt kein Aids in meiner Provinz.“ „In meiner schon“, antwortet sie trotzig und schreibt weiter gegen Korruption und Gewalt an. Ihre KollegInnen verstehen nicht, warum sie sich öffentlich gegen die Machthaber stellt. „JournalistInnen sind leider leicht zu kaufen in meinem Land“, sagt Cacho.
Cacho bekommt Polizeischutz
1998, nach mehreren Drohungen, wird Cacho an einer Bushaltestelle niedergeschlagen und vergewaltigt. Ob der Überfall mit ihrer Arbeit zu tun hatte, weiß sie bis heute nicht – aber er schärfte ihr Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen weiter. Neben ihrem Job baut Cacho ein Frauenhaus auf. „Ich habe mich jahrelang zwischen zwei Welten bewegt“, sagte Cacho bei der Preisverleihung in Mozambique: „Als feministische Aktivistin gegen Gewalt aufzutreten ist meine Art, Bürgerin zu sein, als Journalistin zu arbeiten ist mein Beruf.“ Cacho gibt keine von beiden Welten auf und beginnt, über Kinderpornografie zu recherchieren. 2005 erscheint ihr Buch Los Demonios del Eden, in dem sie anhand der Aussagen von Opfern einen Kinderporno-Ring in ihrer Heimatstadt aufdeckt und Namen involvierter Geschäftsleute nennt. Die Drohungen vervielfältigen sich, Cacho bekommt Polizeischutz.
Doch im Dezember 2005 wird sie am Weg zur Arbeit entführt – von der Polizei eines anderen Bundesstaates. „Pass auf, Journalisten sterben durch verirrte Kugeln“, sagt einer der zehn Beamten, die sie 20 Stunden lang im Auto in den Staat Puebla ins Gefängnis bringen. Sie erzählen von Plänen, sie zu vergewaltigen. Cacho weiß die ganze Zeit über nicht, ob es sich um Killer handelt. Doch die Polizei ist echt, Cacho wurde vom Geschäftsmann Kamel Nacif, der in ihrem Buch vorkommt, wegen übler Nachrede geklagt. Sie kommt ins Gefängnis, zahlt eine Strafe und kommt frei. Rechtmäßig war die Verhaftung nicht, so viel ist klar. Warum sie so entführt wurde, erfährt Cacho aber erst ein paar Monate später.
Im Februar 2006 werden einem Radio und einer Zeitung Tonbänder mit Mitschnitten von Telefongesprächen zugespielt. Darauf ist der Geschäftsmann Kamel Nacif im trauten Gespräch mit dem Gouverneur des Bundesstaates Puebla, Mario Marin, zu hören. Es geht um Lydia Cacho. Kamel bedankt sich bei Marin dafür, die Verhaftung in die Wege geleitet zu haben, und will dafür ein paar Flaschen Cognac schicken. Er erzählt, dass er drei Insassen des Gefängnisses dafür gezahlt habe, Cacho in der Haft zu vergewaltigen und zu schlagen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Cacho erstattet Anzeige gegen den Gouverneur
Doch wenn hohe Politiker involviert sind, mahlen die Mühlen der Justiz besonders langsam. Bis zu den ersten Vernehmungen vergehen Monate. Cacho verliert fast alle Zeugen im Staat Puebla – vielen wurde gedroht, dass sie ihren Arbeitsplatz verlieren würden, wenn sie aussagen. Die Orte, an denen sie festgehalten wurde, werden nachträglich verändert, um ihre Aussagen in Zweifel zu ziehen. Während Tausende zur Unterstützung von Lydia Cacho demonstrieren, startet eine Diffamierungskampagne gegen die Journalistin. „Es ist ein außergewöhnliches Beispiel für Korruption und Machtmissbrauch, aber vor allem für die Frechheit, mit der sie es tun“, sagt Cacho. Am 29. November 2007 entscheidet der Oberste Gerichtshof, dass die Anklage gegen Gouverneur Mario Marin fallengelassen wird. Der Menschenrechtsrat der UNO empfiehlt Lydia Cacho, das Land zu verlassen und um politisches Asyl anzusuchen.
Cacho bleibt – und schreibt
Doch Cacho bleibt – und schreibt. Noch vor ihrer Entführung hatte sie sich den nächsten Skandal vorgenommen, der sich bis in höchste Justiz-, Polizei- und Politikkreise zieht: die Morde an Hunderten von Frauen rund um die Ciudad Juarez, deren Opfer verstümmelt auftauchen oder verschwinden. Dann widmet sie sich ihrem nächsten Buch: Der Erzählung des Falles Cacho. In Memoria de una Infamia – Erinnerung an eine Infamie – arbeitet sie die Geschehnisse seit der Aufdeckung des Kinderpornoringes auf.
Im April, kurz bevor Cacho den Preis für Pressefreiheit bekam, sollte ihr Buch in Puebla vorgestellt werden. Mario Marin, den sie angeklagt hatte, ist dort immer noch Gouverneur. Das große Plakat, das die Buchpräsentation ankündigte, wurde nach wenigen Stunden von der Baupolizei entfernt und durch ein anderes ersetzt. Angestellte im öffentlichen Dienst bekamen Rundschreiben, die den Besuch der Buchpräsentation unter Androhung von Kündigung verboten – versehen mit dem Hinweis, dass Kameras installiert seien. Lydia Cacho wird mit dem Tod bedroht. Sie tritt trotzdem auf.
„Soll ich weiter Journalistin sein in einem Land, das von 300 mächtigen reichen Männern kontrolliert wird?“, fragte Cacho in Mozambique. „War es wert, mein Leben für meine Prinzipien zu riskieren? Die Antwort ist natürlich: ja. Wir Journalisten glauben, dass der Schock, der von unseren Geschichten ausgelöst ist, Menschen guten Willens zusammenbringen muss. Das ist einer der Gründe, warum wir weitermachen, gegen alle Widerstände. Wir kennen die Macht des Mitleids.“ (Corinna Milborn, DER STANDARD, Print, 10.5.2008)