Rache für Wikileaks. Auf Druck der USA sperrten Unternehmen den Zugang für die Plattform. Deren Unterstützer rächen sich im Internet – auch in Österreich. Von B. Mayerl, C. Milborn. NEWS Nr. 50/10 vom 16.12.2010
Es ist eine kleine Kurznachricht im Internet und zugleich der Höhepunkt der ersten globalen Cyber-Schlacht der Geschichte: „Derzeitiges Ziel: mastercard.com. Richtet eure Waffen ein. Feuer! Feuer! Feuer!“, steht am 8. Dezember auf der Internetplattform Twitter zu lesen. Tausende WikiLeaks-Unterstützer lesen mit und setzen ein Programm in Gang, das seit Tagen im Internet kursiert. 9.000 Computer gleichzeitig rufen Hunderte Male pro Minute die Internetsite der Kreditkartenfirma Mastercard auf. Die Server halten dem Ansturm nur kurz stand. „Mastercard.com is down!“, heißt es kurz später. Die Kreditkartenfirma ist weltweit, für Stunden, nicht erreichbar. Sie ist das prominenteste Opfer der „Operation Payback“: einer Racheaktion von Netz-Aktivisten gegen alle, die WikiLeaks Steine in den Weg legen.
Eins, zwei, 1.000 WikiLeaks. Dabei begann der Aufstand im Netz viel harmloser. Kurz nachdem WikiLeaks begonnen hatte, geheime US-Depeschen ins Netz zu stellen, war die Site für Stunden nicht erreichbar. Wenig später war sie vom Netz: Amazon, Internet-Buchhandlung und IT-Provider, löschte die Adresse kurzerhand. Für ein paar Stunden schien es, als wären die peinlichen Depeschen verschwunden.
Doch WikiLeaks fand einen Ausweg: die Übersiedlung in die Schweiz. Sobald die Site wieder online war, begannen Unterstützer auf der ganzen Welt, den Inhalt zu „spiegeln“: also auf den eigenen Server zu laden. Aus einem WikiLeaks wurden so fast 2000 – und einige dieser Sicherheitskopien sind in Österreich beheimatet. „Als Journalist kenne ich den Wert von Quellen für die Meinungsfreiheit. WikiLeaks die Veröffentlichungen zu verunmöglichen, sehe ich daher als einen Angriff auf die Meinungsfreiheit, dem ich nicht tatenlos zusehen wollte“, erklärt etwa der Journalist Martin Ladstätter, der sonst für das Magazin „Bizeps“ schreibt. Die Uni-Bewegung unibrennt spiegelt die Site ebenso wie die Fachschaftsliste der Technischen Universität, das Liberale Forum, die Netzkultur-Gruppe quintessenz oder die Internetfirma Geizhals.at – und Dutzende Privatpersonen, wie der Software-Entwickler Raphael Wegmann: „Die Menschen haben ein Recht, zu erfahren, warum die USA seit Jahren Kriege führen, denn immerhin wurden sie von Bush jahrelang belogen.“
Blockade aus dem Kinderzimmer. Doch der Druck auf WikiLeaks stieg weiter: Mastercard und Visa den Zahlungsverkehr für WikiLeaks, PayPal die Spenden, die Schweizer Postfinance Julian Assanges Konto. Und damit startete „Operation Payback“ – die Racheaktion. Zeitweise waren die Seiten von Mastercard, Visa, des PayPal-Blogs, der Postfinance und die US-Politiker Sarah Palin und Joe Lieberman zugleich im Netz nicht erreichbar: Eine Cyberarmee hatte sich formiert, gebildet aus den Computern von Sympathisanten, loszustarten per Twitter oder gar Fernsteuerung. Die Kommandozentrale bleibt anonym – und heißt auch so: Die „Marschbefehle“ kommen vom losen Netzwerk „Anonymous“ (s. Grafik). Die neusten Attacken richten sich auf die Faxmaschinen von Amazon & Co. In den Niederlanden wurden ein 16-Jähriger und ein 19-Jähriger verhaftet.
Doch sind die neuen Cyber-Aktivisten Verbrecher – oder handelt es sich um eine neue Art von Demonstration? Die Meinungen gehen auseinander (s. rechts). Technikjournalist Erich Möchel von ORF On: „Die Attacken sind nicht legitim. Es handelt sich meist um sehr junge Leute – Tunichtgute, die aber nicht gefährlich sind.“ Als Hacker dürfe man sie jedenfalls nicht bezeichnen – die stellen sich nämlich sogar gegen den Cyber-Aufstand: „Diese Attacken sind, wie jemandem ins Gesicht zu schlagen, wenn einem die Argumente ausgegangen sind“, sagt der niederländische Hacker Koen Martens.
Politische Unterstützung bekommt WikiLeaks in Österreich von Peter Pilz (Grüne): Er gründet am Donnerstag den „Verein Freiheit“, der für Pressefreiheit im Internet kämpfen und WikiLeaks Server zur Verfügung stellen wird. Die Attacken auf Internetkonzerne sieht er positiv: „Es wird nichts zerstört, sondern nur der Zugang blockiert: eine Art digitaler Sitzstreik. Ich war immer für Sitzstreiks, wenn sie politisch gut argumentiert waren. Ich mache gerne mit.“
Doch Politik ist nicht für alle der neuen digitalen Aktivisten so wichtig. Moritz W., 15-jähriger HTL-Schüler aus Wien, beteiligte sich mit seinen Freunden an den Attacken – und beschreibt sich als politisch uninteressiert. Der Kick liegt woanders: „Der Moment, in dem das Gegenüber in die Knie geht, ist spannend.“