José Luis Zapatero will als EU-Ratspräsident Europa einigen und aus der Krise führen. Allein: Der Spanier hat selbst ein Problem – denn zuhause droht neuerlich die Rezession. FORMAT Nr. 02/10 vom 15.01.2010
Jamón Ibérico, Manchego-Käse und Calamares: Kleine spanische Köstlichkeiten leuchten aus der Hochglanzbroschüre, mit der Spanien für seinen EU-Vorsitz wirbt. Doch das Bild der Tapas ist unangenehm doppeldeutig. Spanien hat für seine Präsidentschaft ein pompöses Menü geplant und könnte doch nur eine Häppchen-Präsidentschaft liefern. Das liegt nicht nur am Kompetenzenwirrwarr – erstmals muss sich ein Ratspräsident mit dem neuen ständigen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy um das Scheinwerferlicht balgen –, sondern auch am Unwillen der Partner: Die gro-ßen Pläne des Ministerpräsidenten José Luis Zapatero zerschellen schon am Start an der gerümpften Nase der nördlichen Nachbarn.
Den ersten Rüffel fing sich Zapatero schon in der ersten Arbeitswoche ein. Der frisch gebackene Ratspräsident hatte eben erst die Schwerpunkte seiner Präsidentschaft verkündet. Ganz oben auf der Liste: die neue wirtschaftspolitische Strategie für die Union namens „EU 2020“, die die spektakulär gescheiterte Lissabon-Strategie ersetzen soll. Zapatero ging die Aufgabe als „glühender Europäer“ an. Spanien hat vom EU-Beitritt massiv profitiert, „mehr Europa“ hat für Spanier einen positiven Klang. Aus diesem Geist ist der erste gescheiterte Vorschlag Zapateros geboren: nämlich wirtschaftspolitisch säumige Länder mit Sanktionen zum Mitmachen zu zwingen. „Wir wollen Anreize und, wenn nötig, auch Korrektive in die Strategie EU 2020 einbauen“, verkündete er. Deutschland reagierte empört, qualifizierte den Vorstoß als „unnötig“ ab – und Zapatero ruderte zurück. Denn hinter dem Rüffel steht nicht europamüder Nationalismus, sondern ein Glaubwürdigkeitsproblem: Die EU-Partner wollen sich nicht ausgerechnet von Spanien sagen lassen, wie sie aus der Krise kommen sollen – denn Spanien ist innerhalb Europas einer der am härtesten getroffenen Staaten.
Rezession auch 2010. Spaniens rasanter wirtschaftlicher Aufstieg hing an einer spektakulären Immobilienblase. Als sie platzte, rutschte das Land viel heftiger als alle anderen EU-Staaten in die Krise. Größter Brandherd ist der Arbeitsmarkt: Im Oktober 2008 waren 2,6 Millionen Spanier arbeitslos, nur sechs Monate später waren vier Millionen ohne Job. Allein der Immobiliensektor baute eine Million Jobs ab, die Industrie entließ weitere 700.000 Mitarbeiter. Derzeit kratzt die Arbeitslosenrate an der 20-Prozent-Marke, die Jugendarbeitslosigkeit hat bereits 40 Prozent überschritten. Diese explodierende Arbeitslosigkeit hat José Luis Zapatero in ein Tief gestürzt: Vor kurzem noch galt er als Strahlemann, der 2008 deutlich die Wiederwahl gewann, und als Hoffnung der europäischen Sozialdemokratie. Nun verlor seine Partei die EU-Wahlen und liegt in allen Umfragen weit hinter den Konservativen. Und es wird nicht besser: Während sich der Rest Europas langsam vom Schock erholt, verpuffen in Spanien die Konjunkturpakete, mit denen Zapatero erst acht und nun noch einmal fünf Milliarden Euro in die Wirtschaft pumpte. Spanien ist 2010 unter den 15 schwächsten Volkswirtschaften der Welt, ein weiteres Rezessionsjahr wird erwartet.
Wenig glaubwürdig erscheint Zapatero auch in seinen Aufrufen, die EU-Wirtschaftspolitik nachhaltiger, sozialer und innovativer zu gestalten: Das Land investiert nur knapp über ein Prozent in Forschung und Entwicklung; vom neuen, fünf Milliarden schweren Konjunkturpaket sind nur 11,3 Prozent für innovative, ökologische und soziale Projekte vorgesehen.
Drohende Bankenkrise. Wirtschaftspolitisches Vorzeigeland war Spanien auf dem Bankensektor. Er war zwar bestimmender Teil der Immobilienblase, doch dank strenger Regulierungen blieb er 2009 vom großen Crash verschont und machte gute Gewinne. Doch nun droht auch dem Finanzsektor die Krise, und das gleich von drei Seiten: Erstens sind Spaniens Kredite meist flexibel an den Euribor gebunden – die niedrigen Zinsen schlagen nun durch und schmälern die Einkünfte. Zweitens steigt durch die Arbeitslosigkeit die Zahl der faulen Kredite rasant; sie liegt bereits bei acht Prozent. Und drittens beendet die EZB heuer ihre Niedriggeld-Politik und nimmt die Banken damit vom Liquiditätstropf. Die Folge: Zapateros Stolz, „nicht einen Cent Steuergeld“ in die Rettung von Banken gesteckt zu haben, könnte noch heuer in einem Rettungspaket verpuffen.
Im Rest der EU ist die Lage zwar rosiger als in Spanien – gejubelt wird jedoch nirgends. „Der Langzeitausblick ist nicht freundlich“, sagte Van Rompuy am Wochenende in Deutschland. Die Konjunkturpakete, so der Ratspräsident, hätten zwar kurzfristig den Abschwung gebremst – doch sie lösen weder Investitionen aus, noch senken sie die Arbeitslosigkeit. Das herausragendste Beispiel für diese Diagnose ist Spanien.
Das erhöht die Lust der EU-Länder auf mehr wirtschaftspolitische Kooperation, wie sie Zapatero vorschwebt, kaum – und schmälert seine Chancen auf die wirtschaftspolitisch prägende Präsidentschaft, die er ankündigt. Doch die Spanier haben vorgesorgt: Um sich zumindest Glanz und Pomp zu sichern, werden sie trotz der neuen Ratspräsidentschaft in Brüssel als letztes EU-Präsidentschafts-Land Gastgeber für die internationalen Gipfel sein und gleich elf davon ausrichten – darunter den EU-USA-Gipfel. In Brüssel ist man darüber wenig erfreut. Doch ein Foto mit Barack Obama, so die Hoffnung spanischer Diplomaten, zählt in der Geschichte mehr als das Stocken in der Sachpolitik.