Corinna Milborn über die neue Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung gegen Dominique Strauss-Kahn – und die Folgen für die französische Männergesellschaft. Kommentar erschienen in News 27/11, 7.7.2011
Mit dem Zusammenbruch der Anklage gegen Dominique Strauss-Kahn und seinem triumphalen Auszug aus dem Hausarrest brach am Wochenende in Frankreich ein patriotischer Jubel aus, der in seinem Anti-USA-Geheul an Zeiten des Irakkriegs erinnerte. Auch heimische Journalistenprominenz stimmte ins Brustgetrommel mit ein – „Freiheit für den Mann!“, bloggt etwa „profil“-Herausgeber Christian Rainer und fügt hinzu: „Überraschung: Männer sind doch triebgesteuert, metrosexuelle Weicheier bleiben eine Randerscheinung. Wen wundert’s? Mit lätzchenhäkelnden Schwanzträgern hätte die Menschheit ungefähr so viel Bestand gehabt wie die Republik Kugelmugel.“ Das reduziert den Fall von Strauss-Kahn, dem ein Zimmermädchen versuchte Vergewaltigung vorgeworfen hat, noch ex post auf einen bewundernswerten Akt der Potenz.
Dabei wurde DSKs Unschuld ja gar nicht bewiesen. Das anzeigende Zimmermädchen hat seine Aussage nicht zurückgezogen – aber nach der Durchleuchtung durch DSKs ausgezeichnete Anwälte, unterstützt durch Ex-CIA-Mitarbeiter, hat es jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Wenn Aussage gegen Aussage steht, hat eine Wiederholungslügnerin keine Chance. Man wird die Wahrheit nicht mehr erfahren – doch das geht im Triumph unter.
Kein Wunder, dass die französischen Sozialisten den „Jetzt erst recht“-Effekt nützen und DSK wieder als Präsidentschaftskandidat ins Spiel bringen wollen. Doch gelingen wird das nicht – dafür sorgt nun Tristane Banon. „Strauss-Kahn jetzt zu sehen, beim Abendessen mit Freunden in einem Luxusrestaurant – da wird mir schlecht“, sagte die junge Journalistin und brachte am Dienstag Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung ein. Strauss-Kahn, damals Exminister, soll sie vor acht Jahren bei einem Interview überfallen haben. Der Vorfall war kein Geheimnis, Banon hat im Fernsehen davon erzählt und die Anzeige schon im Mai angekündigt. Nun macht sie Ernst, und Frankreich schäumt vor Wut.
Denn Tristane Banons Anzeige ist in Frankreich ein echter Tabubruch. Konnte man das Vorgehen der Polizei in New York noch als Verschwörung, Intrige einer Betrügerin oder puritanische Überreaktion abtun, trifft Banon – Tochter einer Sozialistin und gut verankert in der Pariser Intelligenzija – die französische Machogesellschaft ins Mark. Wie groß der Kulturbruch ist, zeigen die Aussagen ihrer Mutter, einer sozialistischen Politikerin und persönlichen Bekannten DSKs. Sie riet ihrer Tochter damals dringend von einer Anzeige ab. „Sie war eine junge Frau, die sich mit einem Exminister anlegen wollte. Er hatte viel Macht, politisch wie finanziell, Netzwerke, Lobbys. Sie hätte keinerlei Chance gehabt, gehört zu werden“, erklärt sie. Doch nun wird die Mutter aussagen – mit neuen Details.
Das französische Establishment schäumt ob des Angriffs aus den eigenen Reihen – doch es wird diesen Kulturbruch nicht aufhalten können. Die Elite des Landes setzt zwar alles daran, Banon als labile Nymphomanin zu zeichnen oder ihr Publicitygeilheit als Motiv zu unterstellen. Doch der Versuch geht ins Leere: Wer acht Jahre lang aus Angst vor der nun ausbrechenden Schlammschlacht schwieg, wünscht sie sich jetzt nicht plötzlich herbei. Man wird sich mit Banon auseinandersetzen müssen.
Unabhängig von ihrem Ausgang ist die neue Anzeige gegen DSK ein klares Signal: Sexuelle Gewalt ist ein Verbrechen und kein Beweis für Männlichkeit. Das wird hängen bleiben. Auch wenn am Ende des Prozesses wieder Aussage gegen Aussage stehen sollte und der Angeklagte im Zweifel freigesprochen wird: Der französischen Machogesellschaft, in der bisher zwischen Eskapade und sexueller Gewalt nicht unterschieden wurde und mächtige Männer sich als unangreifbar fühlen dürfen, wird die Diskussion guttun. Das Schweigen ist gebrochen.