Cancún. Die Erwartungen an den Klimagipfel in Cancún sind niedrig – doch genau deshalb könnte er Ergebnisse bringen. Plus: Schwarzeneggers grünes Vermächtnis. NEWS Nr. 48/10 vom 02.12.2010.
Ich glaube nicht, dass wir ein globales Abkommen gegen Klimawandel erreichen werden“, sagt die Dame aus Costa Rica mit rollendem R. „Jedenfalls nicht in meiner Lebenszeit.“ Das ist insofern bemerkenswert, als diese pessimistische Voraussage im Vorfeld des Klimagipfels von Cancún kommt – und das von der Gastgeberin: Christiana Figueres, die mit zarten 54 Jahren noch mit einer beträchtlichen Lebenszeit rechnen darf, ist seit Mai Chefin des UN-Klimasekretariats. Doch angesichts der allgemeinen Laschheit vor dem Klimagipfel ist selbst ihr professioneller Optimismus baden gegangen.
Am Montag startete die Klimakonferenz im mexikanischen Badeort Cancún, und die Erwartungen gedämpft zu nennen, wäre eine Untertreibung. In den kastenförmigen Hotels, in denen üblicherweise US-Teenies komasaufend ihre Party-Wochenenden verbringen, sitzt der harte Kern der Delegierten düsterer Stimmung an den Bars und tröstet sich mit Margaritas. Im Laufe der Tage werden sich die Konferenzräume – gelegen in Gehweite zum weißen Sandstrand – mit 15.000 Delegierten füllen. Zu Beginn der kommenden Woche reisen die Umweltminister an. Staats- und Regierungschefs sind diesmal nicht vorgesehen. Cancún, das ist jetzt schon klar, wird kein Meilenstein der globalen Klimapolitik.
An sich wäre die Konferenz dazu da gewesen, die Beschlüsse des Gipfels von Kopenhagen umzusetzen, damit rechtzeitig vor dem Auslaufen des Kioto-Protokolls Ende 2012 ein neues Abkommen in Kraft tritt – das dringend benötigt wird: Denn der Klimawandel schreitet wesentlich schneller voran, als das Wissenschaftlerpanel der UNO in seinen düstersten Prognosen angekündigt hat. Das arktische Eis war schon 2007 so stark abgeschmolzen, wie es die UNO erst für 2050 vorgesehen hatte. Der Anstieg des Meeresspiegels geht um 80 Prozent schneller voran als erwartet. Die Emissionen von Treibhausgasen liegen weit über den Worst-Case-Szenarien, und auch die Risiken schätzt man heute schlimmer ein: Steigt die globale Temperatur noch um ein Grad, werden die Hurrikans der Kategorie vier und fünf global um 30 Prozent zunehmen.
Doch Kopenhagen endete ohne Abkommen, ein globaler Schulterschluss scheint ferner denn je.
Die Chancen im prognostizierten Scheitern. „Aber das ist gar nicht schlimm“, sagt Christoph Bals. Und der ist kein Öl-Lobbyist, sondern Klimaexperte der deutschen Organisation Germanwatch. „Vor Kopenhagen wollten wir alle den großen Knall – ein globales Abkommen. Alles oder nichts. Nun ist klar, dass das nicht gehen wird – und das öffnet die Türen, um kleine, wichtige Schritte festzulegen.“ Cancún könnte also – gerade weil es zum Scheitern verurteilt ist – echte Fortschritte bringen.
Plus zwei Grad. Da ist erstens das große Ziel der UNO für die Konferenz: Die 193 anwesenden Staaten sollen sich darauf einigen, die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu begrenzen. Für Experten ist das zwar immer noch zu viel. „Es kann sein, dass dann schon das arktische und grönländische Eis abschmelzen, was zu einem Anstieg der Meere um sieben Meter führen würde“, sagt Johannes Wahlmüller, der die österreichische Umweltorganisation Global 2000 in Cancún vertritt. Doch das Zwei-Grad-Ziel hätte Konsequenzen: Dazu müsste die Welt nämlich den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um 40 Prozent, bis 2050 um 95 Prozent reduzieren.
Ebenfalls gute Chancen gibt es auf ein Abkommen für die Wälder. Der Österreicher Geri Steindlegger, der als politischer Direktor des internationalen WWF-Waldprogramms in Cancún dafür kämpft, meint: „Wir sind guter Hoffnung, dass es wenigstens zu einer Einigung kommt, bis 2020 die Entwaldung zu stoppen. Waldschutz ist der billigste Klimaschutz – und schützt die Artenvielfalt.“
Geld gegen Klimawandel. Dritte Chance in Cancún: Der Transfer von Umwelttechnologie in Entwicklungsländer und Gelder für die Anpassung der am stärksten betroffenen Staaten an den Klimawandel können nun festgelegt werden. Es geht dabei um nicht weniger als 100 Milliarden Dollar pro Jahr bis 2020, die in Kopenhagen bereits zugesagt waren, aber mangels Abschlussdokuments nie verbindlich wurden.
Und noch eine vierte Chance gibt es für die Verhandlungen in der Karibik: Die Zusagen der einzelnen Länder, wie viel CO2 sie bis 2020 reduzieren wollen, blieben auf der geplatzten Konferenz in Kopenhagen unverbindlich. Jetzt, wo nicht mehr „alles oder nichts“ auf der Agenda steht, können sie festgelegt werden. Ein Grundstein für das Nachfolgeabkommen zum Kioto-Protokoll.
Doch das wichtigste Ziel des karibischen Zusammentreffens betrifft nicht die Atmosphäre der Erde, sondern jene zwischen den Verhandlern. „Wir haben in Kopenhagen gelernt, dass wir auf die USA nicht zählen können“, sagt Greenpeace-Klimaexperte Martin Kaiser. „Nun, in Cancún, können wir uns – da ein globales Abkommen ohnehin nicht erwartet wird – auf den CO2-Emittenten Nummer eins konzentrieren: China. Hier kann es echte Fortschritte geben.“ Womit gerade das prognostizierte Scheitern des Klimagipfels unter Palmen dazu führen könnte, dass er ein Erfolg wird.