Abschiebung. Arigona Zogaj müsste ‚sofort ausreisen‘. Doch nun meldet sich ihr Freund zu Wort: ‚Bitte lasst sie bleiben. Ich habe Angst, dass sie sich etwas antut.‘ NEWS Nr. 23/10 vom 10.06.2010
Sehr geehrte Frau Innenministerin Fekter! Ich, Philipp B., möchte Sie bitten, Arigona Zogaj in Österreich zu lassen. Wir sind seit einiger Zeit zusammen, und sie ist für mich unendlich wichtig. Ich will sie auf keinen Fall verlieren.“
Philipp B. ist 17 Jahre alt. Seine Haare sind mit Gel gestylt, am Wochenende spielte er in der Jugendmannschaft Leonding Fußball und ging mit seiner Freundin aus. Nun muss er oft mitten im Spiel vom Platz, weil er sich nicht mehr konzentrieren kann, und an Ausgehen ist nicht mehr zu denken: Denn seine Freundin ist Arigona Zogaj. Es war eine normale Teenagerliebe: Seit zwei Jahren gehen Arigona und er in dieselbe Klasse der HBLA in Linz. Die beiden lernten zusammen Englisch, gingen in einer großen Freundesgruppe aus. In den Weihnachtsferien kamen sie sich näher, seit Anfang Jänner sind sie ein Paar. „Sie ist eine starke, fröhliche Frau, mit der man unglaublich viel Spaß haben kann“, sagt Philipp. Fremdenrecht, Asylverfahren? Das blendeten sie aus. „Wir hofften, es würde alles gut gehen.“ Doch Arigona ist nicht irgendeine Schülerin – sie ist ein Symbol für den Kampf um Zuwanderung und das Asylrecht in Österreich. Anhand dieses Mädchens wird Politik gemacht. Nun muss es gehen.
Ende der Hoffnung. Philipp sitzt in Traun am Esstisch zwischen seinen Eltern und kann es noch nicht glauben. Das Wohnzimmer ist orange gestrichen, auf dem Tisch steht ein Guglhupf. Es ist eine typische österreichische Familie – doch das Fremdenrecht hat einen tiefen Riss in die Idylle geschlagen. Soeben ist der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zugestellt worden: „Unverzügliche Ausreise“ steht darin. Es ist der Schlusspunkt einer Reihe von Enttäuschungen.
Im März kam der negative Bescheid im Asylverfahren. Die junge Frau brach zusammen, Philipp besuchte sie im Krankenhaus. Sie muss Antidepressiva nehmen, um überhaupt noch schlafen zu können und den Schulalltag zu bewältigen. Arigona Zogaj rief den Verfassungsgerichtshof an, Philipp wandte sich an die Innenministerin: „Die große Sorge ist meinerseits, dass sie sich etwas antut und mit dem Leben nicht mehr klarkommt. Als Arigona am 16. März den negativen Bescheid erfuhr, sah ich das erste Mal Verzweiflung und Ratlosigkeit in ihren Augen. Kann das wirklich sein? Wir wollen es einfach nicht wahrhaben! Arigona zerbrach an diesem Tag!“ Ein paar Tage später kam eine Antwort, geschrieben von einem Beamten. „Ich bestätige den Erhalt Ihres Schreibens, kann jedoch zu Inhalten und Details der Asylverfahren keine Auskunft erteilen“, steht darin. Es folgt eine Liste von Paragrafen. „Mit freundlichen Grüßen.“ Der Brief könnte kühler nicht sein. „Aber wir haben immer noch gehofft, dass alles gut ausgeht“, sagt Philipp. Es ging nicht gut aus.
Vor kurzem hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass Arigonas Ausweisung rechtskräftig ist. Arigona Zogaj, so das Hauptargument, hätte wissen müssen, dass sie nicht bleiben kann – und deshalb zählen die Bedingungen nicht, die normalerweise ein humanitäres Bleiberecht sichern: dass sie in die Schule geht, oberösterreichischen Dialekt spricht, Freunde und Berufsaussichten hat. Und eine Beziehung. „Ich sehe es als meine Aufgabe, Arigona in ihrem so zerrissenen Leben zu unterstützen“, sagt Philipp. „Aber ich bin am Ende meiner Weisheit. Was soll ich tun, wenn Arigona nicht mehr kann?“
Bitte um Aufschub. Arigona hat die Bezirkshauptmannschaft um Aufschub bis Mitte Juli gebeten. Doch ab nun kann jeden Tag die Fremdenpolizei frühmorgens in ihr Quartier im Schloss Frein stürmen und die Familie in Schubhaft nehmen – Mutter Nurie, die beiden kleinen Geschwister Albin und Albona (zehn und elf Jahre alt) und Arigona. Es wäre eine Wiederholung der Abschiebung vom Jahr 2006. Damals tauchte Arigona unter. Nun wird sie das nicht mehr machen. „Sie wird freiwillig ausreisen“, sagt Philipp. „Aber doch nicht so schnell: Zumindest soll sie dieses Schuljahr fertigmachen können, wenn sie sie schon im zweiten Jahr rausschmeißen! Wem tut denn das weh?“
Er und seine Familie, die sich bisher von Medien ferngehalten haben, wollen nun auch öffentlich zeigen: „Wir stehen hinter Arigona.“ „Wir haben sie sofort ins Herz geschlossen, die Gona. So ein herzliches Mädchen, und so tüchtig“, sagt die Mutter. „Hier hat der österreichische Staat versagt. So geht man doch nicht mit Menschen um, die seit vielen Jahren hier leben. Was soll die Familie denn im Kosovo machen?“, schimpft der Vater. Die kleine Schwester ist acht und versteht nichts von Fremdenrecht. „Die Gona soll nicht weg“, piepst sie.
Doch wie das gehen soll, weiß keiner am Tisch. „Ich würde alles tun, damit sie bleiben kann. Ich hätte auch nichts dagegen, wenn Alfons Haider sie heiratet – er ist ein super Typ. Aber das bringt nichts“, seufzt Philipp. Die Innenministerin selbst hatte den Vorschlag einer Heirat gemacht. Dabei müsste sie es besser wissen: Um über eine Ehe eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen, müsste Arigona 21 Jahre alt sein, ihr österreichischer Ehemann in spe müsste fast 1.200 Euro netto verdienen und eine Wohnung haben (s. Kasten). Philipp aber wohnt im Kinderzimmer bei den Eltern. Die Schule wird er erst in einem Jahr abschließen. Und was er nachher machen will, weiß er noch nicht.
Arigona, sagt er, gehe es derzeit sehr schlecht. „Sie versucht, stark zu wirken, aber hinter der Fassade ist sie einem Zusammenbruch nahe“, sagt Philipp. Als sie mit zehn Jahren aus dem Kosovo floh, war Krieg. Die Bilder der zerfetzten Leichen haben sich in ihren Kopf eingebrannt. „Ich gehe nicht lebend zurück“, hat sie immer wieder in Interviews gesagt. Psychiater haben bestätigt, dass sie suizidgefährdet ist – so wie ihre Mutter. Auch nüchtern betrachtet ist ein Leben im Kosovo wenig ermutigend. Das zeigt schon das Schicksal der älteren Brüder: Der Vater hat die Familie verlassen, das Haus gibt es nicht mehr. Einer der beiden Brüder musste sich nach einer Blutvergiftung fast den Arm amputieren lassen, so schlecht ist die Gesundheitsversorgung. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt über 70 Prozent.
Doch nun gibt es keinen Ausweg mehr: Arigona muss den Tatsachen ins Auge sehen. „Das Wichtigste ist für sie“, sagt Philipp, „dass sie nicht von ihrer Familie getrennt wird.“ Um ihre beiden kleinen Geschwister, die 2006 abgeschoben wurden und 2008 von den älteren Brüdern zurück nach Österreich gebracht wurden, kümmert sie sich wie eine Mutter. Ihrer eigenen Mutter Nurie entriss sie selbst das Messer, das sich die verzweifelte Frau nach einem negativen Bescheid in den Bauch rammen wollte. „Arigona hat Verantwortung. Eine Lösung nur für sie, ohne die Kleinen und die Mutter, ist keine“, erklärt ihr Freund.
Der letzte Strohhalm. Die beiden klammern sich nun an eine letzte Hoffnung: ein Schülervisum (s. Kasten). Der Plan: Arigona reist mit ihrer Mutter und den beiden kleinen Geschwistern freiwillig aus. Im Kosovo kann die Familie bei den älteren Brüdern unterkommen, deren kleine Wohnung Pfarrer Friedl aus Spenden zahlt. Dann wollen sie den Antrag auf Schülervisa für Arigona und die kleinen Geschwister stellen. Bürgen sind bereits gefunden, die Schulen haben zugesichert, die Kinder wieder aufzunehmen. Philipp hofft, dass die Behörden schnell sind und vor dem Schulanfang im Herbst die Papiere ausstellen. Doch nach so vielen Jahren Tauziehen kann er das selbst kaum mehr glauben. Die Ausreise bedeutet auch ein gewaltiges Risiko: Es kann gut sein, dass Arigona jahrelang nicht zurückkehren kann.
Philipp hofft jetzt noch auf ein Wunder: „Vielleicht kann sie ja doch bleiben.“ Wenn nicht, wird er Arigona im August im Kosovo besuchen. Im Herbst, sagt er, sitzt sie vielleicht schon wieder in der Schulklasse. Sein Vater dämpft die Hoffnungen: „Die Behörden haben schon so viel versprochen und nichts gehalten – ich glaube nicht, dass sie vor Schulbeginn zurück kann.“ Philipps Mutter wirft ihm einen warnenden Blick zu und legt die Hand auf die Schulter ihres Sohnes. „Das wird schon. Eure Liebe ist stark genug, um ein paar Monate Trennung zu überstehen.“ Philipp nickt. Er kann es noch nicht fassen. „Manchmal glaube ich, ich bin in einem Traum“, hat er der Innenministerin geschrieben. „Aber es ist die bittere, kalte Realität.“