Der Aufschrei. Wer jetzt für sie kämpft, wann sie wirklich zurückmuss. Der Report. Arigonas fremde Heimat Kosovo – auf der Suche nach ihrer Zukunft. Das Interview. So will Fekter in der Fremdenpolitik den Kurs verschärfen. NEWS Nr. 25/10 vom 24.06.2010.
Arigona geht es sehr schlecht. Sie kann kaum mehr schlafen, ein Zusammenbruch ist leider jederzeit möglich.“ Das sagt ein Betreuer von Arigona Zogaj – der 18-jährigen Schülerin, die in Österreich lebt, seit sie zehn Jahre alt war, und seit drei Jahren gegen ihre Abschiebung in den Kosovo kämpft. Nun sind die Würfel gefallen: Der Asylantrag ist abgelehnt, eine Abschiebung rechtlich gedeckt, Bleiberecht wird nicht gewährt. Die Bezirkshauptmannschaft hat die „unverzügliche Ausreise“ angeordnet.
Eine Gnadenfrist gestehen die Behörden der Familie nach einem persönlichen Gespräch jetzt aber doch noch zu: „Arigona und ihre kleinen Geschwister Albin und Albona dürfen noch dieses Schuljahr abschließen, das bis 9. Juli dauert, und bekommen dann noch ein paar Tage Zeit, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Dann werden sie freiwillig ausreisen“, erklären die Betreuer von der Volkshilfe. Arigonas Mutter Nurie hat bereits begonnen, die Koffer zu packen. Die Abreise erfolgt per Flugzeug. Ein anderer Weg wäre gar nicht möglich: Die Familie verfügt über keine Pässe und würde an den Landesgrenzen scheitern.
Seit vergangener Woche hat das Drama um Arigona Zogaj einen neuen Aspekt: Ihr Freund Philipp B., 17, meldete sich in NEWS zu Wort. Nun geht es auch um eine junge Liebe, die zerrissen wird, wenn Arigona gehen muss. Die beiden sind seit Jänner ein Paar. „Ich hoffe immer noch auf ein Wunder. Aber wenn es nicht mehr anders geht, müssen wir damit umgehen“, sagt Philipp, der schon eine Reise in den Kosovo für August plant. Seine Eltern nicken dazu. „Wir stehen voll hinter Arigona. Sie hat hier eine Familie, auf die sie zählen kann“, sagt Philipps Mutter. Der Vater ergänzt: „Wir hoffen, dass sie im September wieder hier ist. Aber wir haben das Vertrauen in die Behörden verloren – es ist schon so viel versprochen worden, nichts hat gehalten.“
Hoffnung auf Rückkehr. Tatsächlich sind die Möglichkeiten für Arigonas Rückkehr beschränkt. Innenministerin Maria Fekter hat zwar eine Reihe davon aufgezählt: Saisonniers-Kontingent, Schlüsselkraft, Ehe mit einem Österreicher, Schülervisum. Doch fast alle davon fallen weg: Um als Kosovarin ein Saisonniers-Visum zu bekommen, muss man bereits legal in Österreich gearbeitet haben – doch Arigona ist Schülerin. Als Schlüsselkraft müsste sie Führungskraft werden, über 2.466 Euro verdienen und einen Hochschulabschluss haben.
Für eine Aufenthaltsgenehmigung per Ehe mit einem Österreicher ist Arigona zu jung: Das geht erst ab 21 Jahren – und der Ehemann müsste über 1.200 Euro verdienen. Ihr Freund Philipp, selbst Schüler, fällt damit als Retter aus. Bleibt nur eine Möglichkeit: ein Schülervisum für sie und die beiden kleinen Geschwister, die sie auf keinen Fall zurücklassen will. Da diese aber nur mit der Mutter ausreisen dürfen, müsste Nurie Zogaj erstens im Kosovo das Sorgerecht erstreiten – und zweitens ein Saisonniers-Visum bekommen.
Warten auf die Behörden. Nun beginnt für die Zogajs wieder ein Wettlauf durch die Behörden und gegen die Zeit: Im September beginnt Arigonas letztes Schuljahr. Bis dahin muss die Familie kosovarische Pässe beantragen und alle notwendigen Unterlagen beim österreichischen Konsulat in Pristina einreichen. Für die Genehmigungen sind dann das Innenministerium, die oberösterreichische Landesregierung und die Bezirkshauptmannschaft zuständig. „Wir hoffen, dass wir alle Voraussetzungen gleich erfüllen“, sagen die Betreuer von der Volkshilfe: Die Schulen haben bereits bestätigt, dass sie die Zogajs wieder aufnehmen würden, und auch Bürgen mit einem Einkommen von über 1.300 Euro sind schon gefunden: Alfons Haider wird für Arigona bürgen, Pfarrer Friedl und eine Linzerin für die Geschwister. „Ob die Behörden vor September entscheiden, wagen wir nicht zu sagen.“ Für Arigona wäre es ein Alptraum, wenn sie nicht zurück könnte. „Sie sieht im Kosovo keine Zukunft für sich“, sagt ihr Freund Philipp. Vermutlich zu Recht, wie der NEWS-Lokalaugenschein zeigt (siehe Reportage ab der nächsten Seite).
Protestwelle in Österreich. Während sich die Zogajs auf die freiwillige Ausreise vorbereiten, rollt in Österreich eine Protestwelle an: Nicht nur ihre Mitschüler und die ehemaligen Nachbarn aus Frankenburg demonstrieren – auch in Wien werden nun Solidaritätskundgebungen organisiert. Die Liste der Unterstützer des Aufrufs „Arigona Zogaj und ihre Familie sollen bleiben! Für eine menschenwürdige Asylpolitik!“ liest sich bereits wie ein Who’s who der österreichischen A-Prominenz: Oscarpreisträger Stefan Ruzowitzky, Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek und eine Reihe von Musikern und Schriftstellern rufen zur Demonstration am 1. Juli auf (siehe Kasten).
Eine wird bei keiner der Veranstaltungen dabei sein: Arigona Zogaj selbst. „Sie ist dazu derzeit nicht in der Lage. Und wir haben Angst, dass sie sich durch einen öffentlichen Auftritt die Chance auf ein Schülervisum verbaut“, meinen enge Vertraute. Arigona will bleiben. Aber selbst sagen kann sie das nicht mehr.