Rettung. Was die Politik jetzt tun kann, um ein zweites Griechenland zu verhindern: Sieben dringende Reformen. Von David Hell, Corinna Milborn, Hanna Simons. NEWS Nr. 18/10 vom 06.05.2010.
Die Rettung kommt in letzter Minute: Am 19. Mai muss Griechenland, das Euro-Land am Rande des Abgrunds, 8,5 Milliarden Euro an seine Gläubiger überweisen – sonst ist der Bankrott da. Nun ist das Hilfspaket geschnürt. 30 Milliarden Euro steuert der IWF bei, 80 Milliarden werden EU-Länder überweisen, 2,3 davon Österreich.
Doch die drohende Krise des Euro ist durch den Mega-Scheck nicht gebannt. Vier weitere Eurostaaten stehen an der Kippe – und mit ihnen die Banken der großen EU-Staaten (s. Grafik). Italien, Spanien, Portugal und Irland brauchen in den nächsten vier Jahren insgesamt mindestens 1.800 Milliarden Euro von den Finanzmärkten, um ihre Defizite zu finanzieren und fällige Schulden zu bedienen. Eine enorme Zahl, die nun jene auf den Plan ruft, die am Absturz verdienen wollen und ihn damit antreiben. Um ein zweites Griechenland zu verhindern, versucht die EU nun unter der Führung einer verärgerten Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein Sicherheitsnetz gegen den Fall des Euro einzuziehen.
01 Spekulation: Eindämmen
Zuerst will die Politik mit Regulierung und einer – seit der Finanzkrise angekündigten – Europäischen Finanzmarkt-aufsicht jene Spekulationen einbremsen, die am Fall der Euroländer verdienen wollen und ihn damit beschleunigen. Um gegen Staatsanleihen zu wetten, werden „Credit Default Swaps“ (CDS; eine Art von Derivaten) gehandelt. Wer Stimmung gegen ein Land macht, kann damit am Absturz gut verdienen – wie eben in Griechenland erlebt. Finanzmogul George Soros fordert schlicht ein Verbot der CDS. „In den USA wird daran gearbeitet, den Handel mit Swaps transparenter zu gestalten“, sagt der Chefvolkswirt der Bank Austria, Stefan Bruckbauer. Damit wäre auch die EU am Zug.
Bei Währungen wird mit Leerverkäufen („short selling“) auf den Absturz spekuliert. Auch hier könnte man einen Handelsstopp ausrufen: In der Finanzkrise hat das schnell funktioniert – bis heute darf man nicht auf fallende Kurse von Banken setzen. Auf den abstürzenden Euro allerdings schon.
02 Ratings: EU-Agentur
Nach der Finanzkrise wurde sie groß versprochen: Eine europäische Ratingagentur sollte die Macht jener drei privaten Agenturen schwächen, die ein Monopol auf die Einschätzung der Bonität von Firmen und Staaten haben. Doch bisher ist nichts passiert. Senken also Standard & Poor’s, Moodys und Fitch ihren Daumen über einem Land, müssen große Banken und Fonds – die ihre Richtlinien nach den Ratings ausgerichtet haben – deren Anleihen verkaufen. So schlitterte Griechenland nun fast in die Zahlungsunfähigkeit. Jetzt sind Spanien und Portugal dran: Standard & Poor’s hat das Rating bereits herabgesetzt – das macht das Schulden-Machen teurer.
Eine europäische Ratingagentur könnte diesen Einfluss schwächen. Nun drängt vor allem Deutschland darauf, den Plan endlich umzusetzen. „Konkurrenz kann hier nur nutzen“, richtete Angela Merkel am vergangenen Dienstag nach Brüssel aus.
03 EZB: Geld für Staaten
Bei den Banken reagierte die Europäische Zentralbank sehr schnell: Gleich nach der Finanzkrise 2008 stellte sie kurzfristiges Geld zu Zinsen von null bis ein Prozent zur Verfügung – also praktisch gratis. Das Ziel: die Liquidität zu erhalten. Doch für Staaten werden solche Rettungsmaßnahmen nicht getroffen: Griechenland muss sich das Geld bei den Banken ausborgen – und das zu Zinsen von bis zu 15 Prozent.
Allein die zögerliche Hilfszahlung an Griechenland hat gezeigt, wie teuer jeder Tag werden kann (s. Grafik Staatsanleihen, S. 53). Hier bedarf es klarer Richtlinien für die Zukunft.
04 Schulden: Kontrollieren
Dass Griechenland am Rande des Bankrotts steht, erfuhren die anderen Euroländer – die jetzt zahlen müssen – Jahre zu spät: Zwar verpflichten sich alle Euroländer zu Budgetdisziplin. Doch erstens dürfen die Zahlen ganz offiziell geschönt werden: Schulden, die in privatisierte Unternehmen ausgelagert werden, zählen nicht. Und zweitens wird geschummelt: Ob die gemeldeten Zahlen stimmen, darf niemand überprüfen. Nun sollen die Regeln geändert werden. EU-Abgeordneter Othmar Karas: „Eurostat muss künftig jederzeit in den Mitgliedsstaaten die gemeldeten Daten überprüfen können.“
Während jede kleinste Vorschrift für Industriefilter oder Nahrungsmittelzusätze EU-weit gilt, bleiben den Staaten zwei Hebel für den internen Standortwettbewerb: Steuern und Sozialsystem. Nun, da Eurostaaten füreinander einspringen, scheint der Wettlauf nach unten bei den Steuern – und die großen Unterschiede etwa in den Pensionssystemen – besonders absurd: Denn offenbar kann sich ein Land, das keine Steuern eintreibt und damit Unternehmen und Vermögen aus anderen Ländern abwirbt, nun auf Kosten der Hochsteuerländer sanieren lassen. Das ärgert besonders Deutschland. „Wir müssen die Steuersysteme harmonisieren und die binnenmarktrelevanten Steuersätze koordinieren“, fordert Othmar Karas. „Die Griechen-Krise ist ein Anstoß dafür.“
05 Steuern: Harmonisieren
06 Wirtschaft: Ankurbeln
Gerade erst, nach der Finanzkrise, galt nur ein Credo bei der Rettung der Wirtschaft: Massen an Geld. 200 Milliarden pumpten die EU-Länder in ihre Konjunkturpakete. Wie das Geld genau verwendet wurde, hat niemand überprüft – die Masse zählte.
Nun soll das Gegenteil den Euro retten. Griechenland verpflichtet sich zu einem drakonisches Sparprogramm, den anderen taumelnden Euroländern blüht bereits Ähnliches. Und spätestens 2011 müssen all jene sparen, die jetzt zahlen – darunter Österreich. „Die Sparpakete könnten die wackelige EU-Konjunktur auf lange Zeit abwürgen“, warnt der deutsche EU-Abgeordnete Sven Giegold. „Die Währungsunion kann nur mit einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik funktionieren.“ Und die sollte nachhaltig sein – und nicht alle zwei Jahre die Richtung komplett ändern.
07 Gläubiger: Beteiligen
Der wichtigste Grund für die Rettung der Griechen ist nicht Mitleid mit den Hellenen: Es ist die Sorge um den Euro, aber vor allem um die eigenen Banken, die die EU-Länder zum Rettungspaket treibt. Jene Banken, die zuvor schon mit Steuergeld aus der Finanzkrise gerettet wurden und damals ihre Gelder in Staatsanleihen umgeschichtet haben, sollen nun also das Risiko nicht selbst tragen – sondern über den Griechen-Umweg erneut gerettet werden. Und zwar mit Staatsschulden: An den neu ausgegeben Anleihen verdienen wiederum die Banken. Angela Merkel reicht es nun: Sie fordert eine europaweite Bankenabgabe und eventuell eine Beteiligung der Gläubiger an der Rettung Griechenlands – etwa durch den Verzicht auf einen Teil der Zinsen. Langfristig aber muss die EU ein Insolvenzrecht für Staaten entwickeln: Denn anders als bei Unternehmen gibt es für Staatspleiten keine Regeln. Entwicklungsländer, die teils seit Jahrzehnten in der Schuldenfalle stecken, fordern solch ein Insolvenzrecht schon lange.
Doch nun trifft es die Euroländer. Und damit sind die Reformen, die seit Jahren angekündigt werden, vielleicht sehr schnell umsetzbar. Denn sonst geht der Euro baden.