Porträt. Schirin Bogner, bekannt als Österreichs erstes Aids-Baby, ist heute 25 Jahre alt und hat sich eine Aufgabe gesetzt: gegen die Verbreitung der unterschätzten Seuche Aids zu kämpfen. Von C. Milborn, S. Wobrazek. NEWS Nr. 26/10 vom 01.07.2010.
Schirin Bogner strafft die Schultern und schüttelt entschieden den Kopf. „Nein, der Kampf gegen Aids ist nicht gewonnen. Die Infektionsraten steigen auch in Westeuropa, und anders, als manche Ärzte glauben machen, ist das Leben mit Aids trotz der Medikamente ein ständiger Kampf“, sagt sie. „Aids war einmal ein Hype. Heute ist es eine unterschätzte Gefahr.“ Sie kommt eben von einer Diskussion mit Gesundheitsminister Gerald Stöger: eine selbstbewusste junge Frau in burschikoser Kleidung. Doch Schirin Bogner weiß in jedem Moment, dass sie anders ist. Sie ist seit ihrer Geburt mit dem HI-Virus infiziert.
Bekannt wurde Schirin als „Österreichs erstes Aids-Baby“. Ihr Lebenslauf deckt sich mit der Entwicklung von Aids in Europa. Im Jahr ihrer Geburt, 1985, wird der erste Aids-Test entwickelt. Mit acht Jahren ist sie Vollwaise – beide Eltern sterben an Aids, Schirin wächst bei ihrer Großmutter auf. Als sie zehn ist, bricht die Krankheit aus. Im selben Jahr wird die Kombinationstherapie erfunden. „Ich war von Anfang an eine Testperson für die neuesten Medikamente“, sagt Schirin. „Und auch heute kämpfe ich mit den Nebenwirkungen: einmal aufgeschwemmt, dann wieder ausgemergelt, Knoten unter der Haut, die Anfälligkeit für Krankheiten.“
Trügerischer Fortschritt. Dr. Horst Schalk, der Generalsekretär der Gesellschaft niedergelassener Ärzte zur Betreuung HIV-Infizierter, bestätigt: „In den 90er-Jahren hatten die Medikamente schwere Nebenwirkungen wie Nierenschäden, Fettstoffwechselstörungen und Schädigungen der Nerven. Heute kämpfen die Patienten mehr mit Müdigkeit oder Verdauungsstörungen.“ Aids sei heute in Westeuropa gut behandelbar: „Die Therapie ist beinahe ausgereift. Doch eine vollständige Heilung wird es in den nächsten Jahren noch nicht geben.“ Schirin Bogner allerdings warnt vor Euphorie: „Man sagt uns, dass wir nun eine normale Lebenserwartung hätten. Doch wer weiß, welche Nebenwirkungen in den nächsten Jahren auftreten.“
Doch auch wenn Tabletten und Therapien das Leben von Schirin heute erleichtern: Das größte Problem ist nicht die Medizin – sondern die soziale Ausgrenzung. Bei Schirin begann sie schon im Kleinkindalter. 1989, sie ist gerade vier, schließt ihre oberösterreichische Heimatgemeinde das Mädchen per Abstimmung aus dem Kindergarten aus. Schirin erlangt traurige Berühmtheit. „Damals, als Kind, habe ich das noch hingenommen. Die Folgen realisiert man erst später.“ Schirin schafft wegen ihrer Krankheit keinen Schulabschluss. Als die Großmutter an Alzheimer erkrankt und in ein Pflegeheim muss, übersiedelt die junge Frau nach Deutschland, wo sie auch therapiert wird. Es folgt eine Reihe von Frusterlebnissen.
„Ich habe mich immer wieder für Jobs beworben und sehr positive Gespräche geführt. Doch sobald ich sagen musste, dass ich Aids habe, war es vorbei.“ Auch privat bestimmt das Stigma der Krankheit ihr Leben: „Beziehungen scheitern am Thema Aids: sei es an der Angst vor Ansteckung, sei es an meiner Entscheidung, keine Familie zu gründen.“ Verstecken kann sich Schirin nicht: Es genügt, ihren Namen zu googeln – und schon weiß jeder Bescheid.
„Die Diskriminierung ist der härteste Teil des Lebens mit Aids“, sagt auch Wiltrut Stefanek, die in Österreich eine Aids-Selbsthilfegruppe gründete ( www.pulshiv.at). „Selbst in einer Großstadt wie Wien müssen wir die Adressen von Ärzten unter uns handeln, die HIV-Patienten behandeln. Die meisten haben so viel Angst vor der Ablehnung, dass sie sich nicht outen – selbst ihrer Familie gegenüber nicht.“ Das bestätigt auch Helmut G., Krankenpfleger aus Wien, der seit 1996 die Diagnose „positiv“ bekam: „Wir haben sowohl im sozialen Umfeld als auch im Berufsleben mit Vorurteilen und Benachteiligungen zu kämpfen. Es hat vier lange Jahre gedauert, bis ich den Mut hatte, es meinen Eltern zu sagen.“
Vor zwei Jahren hatte Schirin Bogner genug vom Frust: Sie setzte die Medikamente ab. „Ich hatte das Gefühl, genug getan zu haben, und wollte ein normales Leben, auch wenn es nur kurz sein sollte. Ich wollte endlich alles ausprobieren, was mir verwehrt war.“ Schirin steigt in eine Softball-Mannschaft ein. Erst nach Wochen spricht sie über ihre Krankheit – und wird akzeptiert. Dann sucht sie einen Job, „bei dem keine Fragen gestellt werden“, und beginnt als Hilfskraft in einer Rohrreinigungsfirma. Sie putzt Toiletten und verstopfte Waschbecken und wird nach der Probezeit übernommen. Doch dann holt sie ihre Krankheit ein: Ein Arbeitskollege findet ihren Namen im Internet und informiert den Chef, dass Schirin an Aids leidet – und eine Infektion bricht aus. „Die Kollegen haben gut reagiert. Doch sie haben mir klargemacht, dass ich wegen des Risikos, krank zu werden, keine Aufstiegschancen habe. Also habe ich gekündigt.“
Zurück ins Leben. Die Auszeit von der Krankheit hat Schirin gutgetan: Sie will nun wieder leben. Sie nimmt ihre Medikamente und sieht ihre Aufgabe klar: gegen die Ausbreitung von Aids zu kämpfen. Und das ist nötiger denn je seit Ausbruch der Krankheit. „HIV und Aids sind aus dem Bewusstsein verschwunden. In den 1980ern war das ganz anders – doch heute ist diese Zeit für Jugendliche ebenso weit weg wie der Zweite Weltkrieg“, sagt die Hautärztin Judith Hutterer, die 1981 den ersten HIV-Patienten in Österreich betreute. Schirin Bogner geht nun auch, erstmals seit Jahren, wieder an die Öffentlichkeit: Im Rahmen der Aids-Konferenz in Wien diskutiert sie bei „Österreich Undercover“ in PULS 4 im Fernsehen (Ausstrahlung: 20. 7.). In Zukunft will sie Schulvorträge halten und für Aufklärung sorgen. „Ich sehe meinen Platz genau da: zu verhindern, dass noch ein Kind in meine Lage kommt. Denn wenn sich niemand mehr infiziert, ist die Krankheit nach einer Generation vom Erdball verschwunden.“