Weltweit steigen die Lebensmittelpreise, eine neue Nahrungs-Krise ist in Sicht. Mitschuld an der Hausse ist wieder Rohstoffspekulation. FORMAT Nr. 05/10 vom 05.02.2010
In Europa trifft es derzeit notorische Naschkatzen am härtesten: Schokolade könnte 2010 vom Pausenfüller zum Investitionsgut werden. Der Preis für Kakao hat sich seit 2007 verdoppelt, Zucker ist allein 2009 um heftige 127 Prozent teurer geworden (s. Grafik). Die Süßstoffbranche hat den Schuldigen bereits gefunden: „Spekulanten haben sich ein neues Spielfeld gesucht und den Kakao entdeckt“, sagte Sönke Renk von Bahlsen auf der Süßwarentagung in München. Doch was hierzulande noch wie ein Luxusproblem klingt, führt in Entwicklungsländern schon zu Hungerrevolten: Die Lebensmittelpreise, die nach ihrem Allzeithoch im Zuge der Krise gerade erst wieder auf Normalniveau angekommen sind, erleben schon wieder eine rasante Steigerung. „Es ist realistisch, dass die Welt eine Wiederholung der Preisexplosion von 2007/2008 erlebt, die einen scharfen Anstieg der Hungernden auf der Welt verursachte“, warnt die Welternährungsorganisation FAO, deren globaler Nahrungsmittelindex bereits bei über 170 Punkten liegt (s. Grafik). Vor 2007 war er nie über 120 Punkte gestiegen.
Besonders betroffen sind Menschen in ärmeren Ländern, die bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben. „Es kann sein, dass wir wieder Hungerrevolten erleben“, warnt Jacques Diouf, Chef der FAO. In Indien ist es schon jetzt so weit: Allein im Dezember stiegen die Lebensmittelpreise – angefeuert durch eine Dürre – um 20 Prozent. Demonstrationen bringen nun die Regierung in Bedrängnis. „Wir steuern auf eine dramatische Krise zu“, sagt der Präsident des Club of Rome, Ashok Khosla. „Lasst uns realistisch sein, die Nahrungsmittelkrise wird uns erhalten bleiben“, reagierte Premier Mohammed Singh am Dienstag. Auch in Indonesien und auf den Philippinen wird bereits täglich gegen Nahrungsmittelpreise demonstriert. In Afrika ist die Lage noch dramatischer: Im Südsudan hat sich die Zahl der Hungernden vervierfacht, in Kenia brauchen 3,8 Millionen Menschen Lebensmittelhilfe. „Die Menschen verhungern bei vollen Regalen“, sagt eine Helferin. Der letzte Preisanstieg hob die Zahl der Hungernden auf der Welt von 800 Millionen auf 1,02 Milliarden.
Dabei scheint die derzeitige Preissteigerung erst der Anfang zu sein: Nur Zucker, Kaffee und Milchprodukte – wichtige Kalorienlieferanten in ärmeren Ländern – erleben derzeit eine Rally. Die Preise für Getreide hingegen sind 2008 eingebrochen und haben nicht an Fahrt aufgenommen. Doch ein Blick auf die Terminbörsen zeigt: Das könnte sich ändern. Die Futures – Optionen auf den Kauf von Getreide in der Zukunft – zeigen steil nach oben (s. Grafik 3).
Spekulanten als Übeltäter. Das lenkt den Blick auf jene, die schon für den rasanten Preisanstieg 2007 verantwortlich gemacht wurden: die Finanzmärkte. Der Zucker- und der Kakaopreis etwa haben zwar auch natürliche Gründe (wie schlechtes Wetter), werden derzeit aber maßgeblich von Hedgefonds angetrieben. Nun wird Ähnliches für weitere Grundnahrungsmittel befürchtet: Wie 2007 ist enorm viel Geld auf dem Markt – und die Lust, es in die Realwirtschaft und in Aktien zu investieren, hält sich angesichts der flauen Wirtschaftsprognosen in Grenzen. Neben institutionellen Investoren, die direkt an der Terminbörse spekulieren, sind vor allem Index-Fonds ein Problem: Rohstoffindex-Fonds bilden zu 10 bis 30 Prozent Agrar-Rohstoffe ab – und können so ebenfalls die Preise treiben. Robert Zoellick, Chef der Weltbank, warnt: „Mit so viel Liquidität auf den globalen Märkten könnten wir zusätzliche Bewegungen zu den Agrar-Rohstoffen hin sehen, sobald es Anzeichen für Knappheit gibt.“
Und für diese Anzeichen sorgen durchaus die Markt-Macher selbst. Jim Rogers – mit George Soros Begründer der Quantum Fonds und als Gründer des Rogers International Commodities Index ein globaler Rohstoffguru – rät etwa herzlich, in Agrar-Rohstoffe zu investieren: „Wir werden in den nächsten Jahren sehr ernste Nahrungsmittelknappheit auf der ganzen Welt erleben, die Preise werden himmelwärts schießen“, sagte er im US-Sender CNBC. Der kanadische Rohstoffanalyst Eric Roseman rät ebenfalls zum Kauf: „Wachsende Weltbevölkerung und eine Nahrungsmittelproduktion, die nicht nachkommt – die Argumente, in Agrar-Rohstoffe zu investieren, sind angesichts der noch niedrigen Preise zwingend. Es ist die beste Rohstoff-Spekulation der kommenden Dekade.“ Bei jenen, die gegen Hunger kämpfen, lösen solche Empfehlungen Gänsehaut aus. „Der wachsende Appetit der Spekulanten und Index-Fonds nach Agrar-Rohstoffen, mit diesem enormen Liquiditätsexzess im Rücken, verschärft die Situation“, warnt die FAO.
Doch manche der geschmähten Spekulanten wechseln auch die Seite: Diese Woche wird der Hedgefonds-Manager Michael Masters (Masters Capital Management) in Washington im Kapitol auftreten. Er spielt den Kronzeugen für die demokratische Senatorin Maria Cantwell und wird nachweisen, dass sich die Spekulation der Hedgefonds direkt auf die Preise der Nahrungsmittel auswirkt. Cantwells Ziel: die Regulierung der Rohstoffmärkte, um die „schamlose Spekulation“ zu beenden.