Der abgehende EU-Steuerkommissar László Kovács über die Chancen einer europäischen Bankenabgabe, Österreichs Liebe zum Bankgeheimnis und den Plan für dessen Abschaffung bis Juni. FORMAT Nr. 04/10 vom 29.01.2010.
Format: Herr Kommissar, Schweden hat eine europäische Bankenabgabe vorgeschlagen. Ist das realistisch?
László Kovács: Technisch ist diese Bankenabgabe möglich. Politisch ist sie ebenfalls möglich. Aber praktisch? Ich zweifle daran: Wir bräuchten hier Einstimmigkeit. Leicht wird es nicht.
Format: Warum so skeptisch?
Kovács: Ich erinnere mich gut an 2005, als die Kommission vom Rat der Finanzminister (Ecofin) den Auftrag erhielt, neue europäische Steuern zu entwickeln. Das Ziel war mehr Geld für Entwicklungshilfe. Ich habe also Steuern auf Kerosin, Flugtickets, Finanztransaktionen, höhere Abgaben auf Treibstoff und eine Erhöhung der Mehrwertsteuer um 0,5 Prozent vorgeschlagen. Die Kerosin- und die Flugticket-Steuer wurden schon beim ersten Ministerrat gekillt, nach drei Räten war keine mehr übrig. Im Prinzip war jeder dafür – in der Praxis gibt es immer irgendein Veto.
Format: Diesmal ist der Budgetdruck aber höher.
Kovács: Das stimmt. Ein weiterer Aspekt stimmt positiv: Steuern auf Flugreisen sind nicht beliebt. Aber eine Steuer für Banken würde derzeit sicher die Unterstützung der Bevölkerung haben.
Format: Ihr großer Erfolg letzte Woche war der Beschluss, die Verfolgung von Steuerflüchtigen in anderen EU-Ländern zu erleichtern. Ist damit der Weg zu Ihrem Hauptanliegen – Kampf gegen Steuerflucht – geebnet?
Kovács: Ich bin sehr froh, dass ich bei meinem letzten Ecofin nicht mit leeren Händen gegangen bin! Unsere Vorschläge gegen Steuerflucht sind ein Paket von fünf Richtlinien. Einige Länder – darunter Österreich – haben sich bisher geweigert, die Punkte einzeln zu diskutieren. Dass wir nun das Paket aufgeschnürt und die erste von fünf beschlossen haben, ist ein großer Schritt nach vorne.
Format: Was ändert sich jetzt?
Kovács: Bisher konnten grenzüberschreitend ohne Unterstützung des anderen Landes nur fünf Prozent der Steuern eingetrieben werden, die zu zahlen wären. Das ist sehr, sehr wenig. Nun ist die gegenseitige Unterstützung der Mitgliedsstaaten gesichert. Das ist ein Schritt zu mehr Kooperation – und vor allem Solidarität.
Format: Warum ist Ihnen der Kampf gegen Steuerflucht so wichtig? In Österreich haben Sie sich damit wenig beliebt gemacht.
Kovács: Weil sehr viel Geld auf dem Spiel steht. Der Verlust aus Steuerflucht beträgt zwischen 200 und 250 Milliarden Euro – fast zweimal das EU-Jahresbudget, viermal das Landwirtschaftsbudget, fünfmal so viel wie die Strukturpolitik. Eine enorme Summe Geld. Gerade jetzt können es sich die Mitgliedsstaaten nicht leisten, 200 bis 250 Milliarden Euro pro Jahr zu verlieren. Es gibt aber auch einen moralischen Aspekt: Millionen Bürger zahlen pflichtbewusst ihre Steuern. Sie sind sehr irritiert, wenn andere sich dieser Pflicht entziehen – und es sich dabei ausgerechnet um die Reichen handelt. Denken Sie an die Aufregung in Deutschland nach dem Liechtenstein-Skandal. Damals habe ich beschlossen, die Reform der Zinsbesteuerungsrichtlinie zu beschleunigen. Dieser Vorschlag liegt nun auf dem Tisch.
Format: Wie wollen Sie die Schlupflöcher schließen?
Kovács: In fünf Schritten: erstens mit der Richtlinie zur Rückholung von Steuern, die gerade beschlossen wurde. Zweitens behördliche Zusammenarbeit. Drittens soll die Zinsbesteuerungsrichtlinie reformiert werden – da haben wir noch keinen Konsens. Viertens wollen wir ein Abkommen mit Liechtenstein abschließen und fünftens ein Verhandlungsmandat mit den vier anderen Nicht-EU-Staaten, die Probleme machen – Monaco, die Schweiz, Andorra und San Marino. Der Clou: Sobald mit diesen Staaten Abkommen stehen, erledigt sich die Zinsbesteuerungsrichtlinie. Dann müssen nämlich auch Österreich und Luxemburg dem automatischen Datenaustausch zustimmen. So wurde es 2003 festgelegt.
Format: Das bedeutet, dass das österreichische Bankgeheimnis fällt?
Kovács: Ja. 2003 hat sich Österreich – wie Belgien und Luxemburg – wegen des Bankgeheimnisses ausbedungen, keine Daten zu liefern, sondern eine Quellensteuer an die Herkunftsstaaten der Bürger zu zahlen, die ihr Geld in Österreich anlegen. Diese Steuer steigt mit 2011 auf 35 Prozent – das ist ohnehin nicht sehr attraktiv, wenn das Geld legal ist. Belgien hat sein Bankgeheimnis schon aufgegeben. Luxemburg und Österreich noch nicht. Wohl deshalb gab es auch noch keinen Beschluss für die Abkommen mit Liechtenstein, der Schweiz, Monaco und so weiter.
Format: Sagen Sie, dass Österreich den Kampf gegen Steuerflucht bremst?
Kovács: Sagen wir es diplomatisch: Österreich ist nicht erpicht darauf, den Prozess zu beschleunigen.
Format: Mit welchem Argument?
Kovács: Minister Josef Pröll sagt, er fürchtet Wettbewerbsverzerrung: Wenn Österreich dem automatischen Datenaustausch zustimmt, verliert es das Geld an andere Staaten mit besserem Bankgeheimnis. Ich sage aber: 25 EU-Staaten haben kein Bankgeheimnis. Und sie haben damit kein Problem.
Format: Österreich hat auf Druck von G-20 und OECD zugestimmt, Daten auf Anfrage herauszugeben. Ist das nicht genug?
Kovács: Das sagen die Luxemburger auch. Ich meine aber: Die OECD hat einen Mindeststandard gesetzt – wir in der EU sollten weiter gehen.
Format: Warum, glauben Sie, hängt Österreich so am Bankgeheimnis?
Kovács: Meine Vermutung: Es gibt viele Konten in Österreich, deren Besitzer erwarten, dass keine Information an ihre Herkunftsländer ergeht – und die es andernfalls abziehen würden. Das deutet darauf hin, dass es sich auch um nicht versteuerte Einkünfte handelt – wer würde sonst bleiben, wenn die Quellensteuer auf 35 Prozent steigt?
Format: Wollen Sie damit sagen, dass Österreich eine Steueroase ist?
Kovács: Keineswegs! Österreich hat ein transparentes Steuersystem, Ausländer zahlen nicht weniger, und es werden auf Anfrage Informationen überliefert. Österreich ist eben nur nicht sehr willig, den Kampf gegen Steuerbetrug zu beschleunigen.
Format: Wie lange, glauben Sie, hält das Bankgeheimnis noch?
Kovács: Ich bin zuversichtlich, dass wir bis Juni 2010 alle nötigen Beschlüsse unter Dach und Fach haben. Die spanische Präsidentschaft hat das zu einer Priorität gemacht, auch die Franzosen machen Druck. Wir können sehr schnell sein.
Format: Ist das noch aufzuhalten?
Kovács: Nein. Der Ball rollt.
Format: Sieht das Ihr Nachfolger Algirdas Semeta auch so?
Kovács: Ja. Wir hatten ein langes Gespräch: Er wird dieselbe Politik mit voller Energie weiterführen.
Zur Person
László Kovács, 70, war zweimal ungarischer Außenminister und bis 2004 Vorsitzender der ungarischen Sozialdemokraten. Seit 2004 ist er EU-Kommissar für Steuern und Zollunion. Sein wichtigstes Projekt als Kommissar war der Kampf gegen Steuerflucht – seine Gegner waren vor allem Österreich, Luxemburg und Belgien, das 2009 sein Bankgeheimnis gekippt hat. Kovács kehrt mit Februar 2010 in die ungarische Politik zurück.