Beppe Grillo hat die politische Landschafts Italiens umgekrempelt. Ich habe ihn im Mai 2012 – nach dem Überraschungs-Erfolg bei den Kommunalwahlen – in seiner Villa in Genua getroffen. ‚, ‚
Genua, 31.5.2012
Man mag den Italienern einen Hang zum Clownesken in der Politik nachsagen: Silvio Berlusconi wurde als Premier zunehmend zur Witzfigur, und das Volk sah es ihm lange nach. Nun, nach dessen unrühmlichem Fall, erlebt das Land einen umgekehrten Weg: Der Komiker Beppe Grillo fuhr mit seiner nur zweieinhalb Jahre alten „Fünf-Sterne-Bewegung“ bei den Kommunalwahlen vorletzte Woche einen Erdrutschsieg ein und gewann in Parma gar den Bürgermeistersessel. Berlusconis Partei? Von 28 auf klägliche 12 Prozent gerutscht. Die Christdemokraten? Dümpeln trotz Bündnispartner unter sechs Prozent. Die Lega Nord? Gedrittelt auf fünf Prozent. Nur die Fünf Sterne verdoppelten sich.
Frontmann Grillo stand nicht zur Wahl – doch seine populistischen Auftritte, in denen er von Politikern bis EU alles durch den Kakao zieht, das Macht hat, ziehen Zehntausende an. Grillo steht für Protest, seine Bewegung für selbst gestrickte Alternativen, geboren aus dem Internet, gerichtet gegen die da oben und das System.
Der Revoluzzer als Millionär.
Grillo empfängt in einer Villa im Nobelviertel Nervia auf den Hügeln Genuas. Eine Hausdame in weißer Uniform führt durch den Salon mit italienischen Stilmöbeln. Von der Terrasse aus sieht man nur strahlendes Blau: direkter Meerblick. Grillo trägt ein akkurat gebügeltes rosa Hemd. Sieht so ein Revoluzzer aus, der die Herzen der krisengebeutelten Italiener erobert?
„Ich bin ja nicht für Armut für alle – sondern für ein gutes Leben für alle“, lacht Grillo. Noch vor zehn Jahren wurde bekannt, dass er ein Jahreseinkommen von 4,5 Millionen versteuerte. Nun wettert er gegen die Reichen – kein Widerspruch, wie er meint: „Unsere Wirtschaft funktioniert nicht mehr, und die Politik hat keinerlei Rezepte außer Hokuspokus und Schuldenexorzismen: Das ist für alle offensichtlich. Es ist Zeit für etwas Neues. In der Bewegung entwickeln das die Menschen selbst, und dann wählen sie sich selbst.“
Dieser Mitmach-Ansatz ist wohl ein Faktor für den Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung. Entstanden ist sie aus dem Blog Beppe Grillos. Berühmt geworden als scharfer Satiriker im Fernsehen, wurde er schon in den frühen 1990er-Jahren von den Bildschirmen verbannt. Den Ausschlag gab ein Satz zum Chinabesuch des damaligen Premiers Bettino Craxi. „Wenn das Sozialisten sind – wen bestehlen die dann?“, fragte Grillo Richtung China – und meinte die eigenen Sozialisten.
Grillo musste auf die Bühne wechseln. Erst der Blog schuf ihm wieder eine Massenplattform – und er wusste sie zu nützen: www.beppegrillo.it ist die drittgrößte Informationsquelle der Italiener – nach „Corriere“ und „Repubblica“. Er wurde vom „Time Magazine“ zu einem der 50 einflussreichsten Blogs der Welt gewählt. Und er bot Grillo das Umfeld, das er brauchte, um seine Kritik am politischen System zu einer Bewegung zu machen.
Erst finanzierten die Leser Inserate. In der „Zeit“ inserierte Grillo 2008: „Italien appelliert an die deutschen Brüder: Erklärt uns den Krieg! Wir ergeben uns gern. Ihr seid unsere letzte Hoffnung. Wir bezahlen euch gut. Ihr bekommt auch keine Staatsanleihen, das schwöre ich.“ Dann kamen die ersten realen Treffen: Der V-Day – kurz für Vaffanculo-Day oder Leck-mich-am-Arsch-Tag – brachte Hunderttausende wütende junge Italiener auf die Straße. Es war eine Frage der Zeit, bis sich der Protest politisch formierte. Der „Movimento Cinque Stelle“ war geboren.
Sieg gegen die Gerontokratie.
„Die anderen kapieren nicht, wie eine Bewegung ohne Führung, ohne Geld und ohne Struktur funktioniert“, sagt Grillo (s. Interview nächste Seite). „Dabei ist es ganz einfach: Wir nehmen die Dinge selbst in die Hand und diskutieren sie – auf Versammlungen und im Netz.“ So entstanden Hunderte Gruppen, die sich Gedanken über Kommunalpolitik machen und Kandidaten wählten. Der neue Bürgermeister von Parma, Federico Pizzarotti, ist mit 39 Jahren einer der älteren. Im Land mit den ältesten Abgeordneten Europas eine Ansage.
Und was die neue Bewegung an Politik vorschlägt, hat zumindest auf der kommunalen Ebene mit Protest nicht mehr viel zu tun: Müllentsorgung, Energie, Passivhäuser, Schulen, entwickelt aus Befragungen.
Doch reicht das, um auch bei Parlamentswahlen zu punkten?
„Derzeit könnten wir noch nicht antreten. Aber wenn wir bis Frühjahr 2013 Zeit haben, werden wir mit 50 jungen, motivierten Leuten ins Parlament einziehen. Sie werden keine Nebenjobs haben, nur zwei Perioden bleiben und transparent arbeiten. Das Programm entwickeln wir gerade – natürlich im Internet“, sagt Grillo.
Er selbst wird nicht kandidieren – das widerspräche seinem Grundsatz, dass keine Verurteilten politische Ämter innehaben sollen (Grillo wurde wegen eines Autounfalls verurteilt). Außerdem behält er lieber die angestammte Rolle: die des lästernden Volkstribuns, der mit dem Campingbus durch Italien fährt und Reden hält. „Macht und Arbeit ist den Leuten viel zu wichtig. Ich treffe lieber Menschen“, sagt er.
Grillo verabschiedet sich – er geht ans Meer, eine Stunden schwimmen im Neoprenanzug, wie möglichst jeden Tag. Das Training braucht er für den Wahlkampf: Denn der hat erst begonnen.
»Die Leute sind doch nicht blöd«
Beppe Grillo über den überraschenden Wahlsieg seiner Bewegung, seine Rezepte für eine bessere Welt – und die Frage, warum er nicht selbst kandidiert.
NEWS: Herr Grillo, Ihre Fünf-Sterne-Bewegung hat bei den Kommunalwahlen einen politischen Erdrutsch ausgelöst. Überrascht?
Beppe Grillo: Irre, oder? Die Bewegung ist nur zweieinhalb Jahre alt, und wir sind auf dem Weg zur Nummer eins in Italien. Die anderen kapieren nicht, wie das geht: Eine führungslose Bewegung, aus dem Netz entstanden. Ich bekomme oft Anrufe von Leuten, die mit dem Generalsekretär sprechen wollen. Aber so was gibt es bei uns nicht.
NEWS: Sie finden sich auf jeder Titelseite – die Reaktionen sind nicht gerade freundlich. Sind Sie nun mehr Komiker oder Politiker?
Grillo: Ich bin ich. „Clown“, „Populist“, „Antipolitiker“ … man hat mich schon vieles genannt. Aber ich selbst habe mich schon vor 20 Jahren intensiv mit erneuerbaren Energien, dem Transportwahnsinn, der Wirtschaft beschäftigt. Das sind jetzt Themen, die unter den Nägeln brennen.
NEWS: Wie ist die Bewegung entstanden?
Grillo: Es begann mit meinem Blog. Ich wollte ursprünglich eine Internetseite, habe dann aber gemerkt, dass mir viel mehr am Austausch liegt. Jetzt ist der Blog die drittgrößte Informationsquelle Italiens, auf Facebook liege ich hinter Obama. Ich bekomme täglich 1.500 bis 2.000 Kommentare. Daraus wurden Treffen, Demonstrationen – und die Fünf-Sterne-Bewegung. Hierarchielos, mit der Intelligenz von Tausenden. Bei uns hat jeder gleich viel Gewicht. Das ist Hyperdemokratie.
NEWS: Und wie kommt man damit auf über zehn Prozent landesweit?
Grillo: Ohne Geld jedenfalls – kein Wahlkampf hat mehr als tausend Euro gekostet, schätze ich. Der Grund dafür, dass Leute Alternativen suchen, ist die katastrophale Wirtschaftslage. 600.000 Unternehmen pro Jahr sperren zu, Jobs verschwinden, wir haben die höchsten Lohnkosten und die niedrigsten Gehälter Europas. Monti versucht sich als Exorzist, aber die Schulden steigen ständig. Jeder ist bereit, Opfer zu bringen – aber nur, wenn es alle machen. Nehmen Sie den Altpolitiker Amato: Der bekommt 30.000 Euro Pension. Und da nimmt man einem Mindestrentner sein Geld weg? Die sind doch völlig verrückt. In anderen Ländern gewinnen deshalb Extremisten. Bei uns nicht – da gibt es uns. Wir haben beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es gibt ja heute keinen klaren Feind mehr – deine Firma etwa wird von einem amerikanischen Pensionsfonds geschlossen, die Politik von der EZB gemacht. Was tut man da? Die Politik ist kein Ansprechpartner. Also entwickelt man selbst eine Alternative.
NEWS: Aber man wirft gerade Ihnen vor, keine Wirtschaftsrezepte zu haben.
Grillo: Ich mache doch nicht das Programm. Das entsteht in einem Wiki im Netz. Mehrere Nobelpreisträger haben uns ihre Expertise gegeben. Bis zu den nationalen Wahlen haben wir das beste Programm – weil es von den Bürgern kommt.
NEWS: Sie wollen aus dem Euro aussteigen?
Grillo: Nein – ich will, dass wir ernsthaft darüber diskutieren. Derzeit geht es den Nicht-Euro-Staaten besser. Wir müssen darüber reden, alle: Was haben wir davon?
NEWS: Überschätzen Sie die Bürger nicht?
Grillo: Die Leute sind doch nicht blöd. Sie müssen natürlich informiert sein. Dafür sorgen Internet und Versammlungen. In Treviso hat einer unserer jungen Leute das gesamte Verkehrskonzept mit den Bürgern entwickelt: Jeder konnte seine Bedürfnisse formulieren. Das ist das Neue: Die Bürger wählen sich selbst und machen den Job in Abstimmung mit den anderen. Ohne Nebenbeschäftigung, mit wenig Geld, höchstens zwei Legislaturperioden lang. Die Leute sollen kein Gesicht mehr wählen, sondern eine Idee.
NEWS: Das Gesicht sind doch Sie.
Grillo: Klar, ich stelle mich zur Verfügung. Aber ich stehe nicht zur Wahl.
NEWS: Warum kandidieren Sie nicht?
Grillo: Das geht gar nicht. Wir sind strikt dagegen, dass verurteilte Personen Ämter bekommen, und ich wurde verurteilt (Anm.: wegen eines Autounfalls). Außerdem habe ich eine andere Rolle. Mit einem Campingbus durch Italien zu fahren und diesen Aufbruch, diese Begeisterung zu erleben – das ist ein Geschenk.