In den letzten zwei Tagen schwappte eine Diskussion rund um den Blogbeitrag eines jungen Journalismus-Studenten durch die sozialen Medien. Er hatte am Assessment-Center des ORF teilgenommen, um mit Verspätung zu erfahren, dass keine Bewerber aufgenommen wurden, was im Blog zur Feststellung führt: „Ich wurde in meinem Leben noch nie so respektlos und miserabel behandelt.“ Derstandard.at zitierte, Armin Wolf antwortete polemisch, der Bewerber erklärte sich – und ich hinterließ auf der Facebook-Page von Armin Wolf einen irritierten Kommentar, der begann mit: What a f*cking sense of entitlement. Viele haben meine Irritation nicht verstanden – daher hier eine Erklärung. Ich schreibe sie ohne link auf den Originaltext und ohne Namen, weil ich den Autor beileibe nicht persönlich angreifen will – im Gegenteil, ich wünsche ihm alles Gute. Es geht mir um eine verbreitete Haltung, die sich in seinem Post eben gerade sehr schön zeigt.
Ich finde die Art, wie Medienunternehmen (und bei weitem nicht nur die) mit Berufsanfängern umgehen, höchst problematisch, und unterstütze jeden Protest dagegen. (Ist an anderer Stelle nachzulesen/-sehen.) Es ist nicht nur für Einsteiger, sondern auch für die Medien und damit für die Gesellschaft schlecht, wenn Redaktionen mangels Nachwuchs keine Mischung zwischen alt und jung mehr zustandebringen. Und nicht nur für die Betroffenen katastrophal, dass junge Journalisten von Praktikum zu Praktikum wandern müssen und jahrelang in prekären Nicht-Verträgen feststecken. Dass ein öffentlich-rechtlicher Sender seine Ausbildungs-Akademie einfach aussetzt, ist empörend. Protest dagegen ist legitim und unterstützenswert, Frust höchst verständlich. Trotzdem ist das Post des jungen Kollegen für mich vor allem eines: ärgerlich.
Erstens konzentriert sich der Text nicht auf Kritik, sondern auf ein Gefühl persönlicher Beleidigung. Empört schildert der gescheiterte Bewerber das „härteste Bewerbungsverfahren seines Lebens“, „schwer und anstrengend“, das aus einem Tag zu 10 Stunden bestand, nach dem man „völlig ausgepumpt und fertig“ war. Dabei geht unter, wozu so ein Assessment da ist: Faire Bedingungen zu schaffen für eine Auswahl von vier aus mehreren hundert Bewerbern. Ich verstehe den Frust von freien ORF-Mitarbeitern, die nach Jahren professionellster Arbeit für den ORF daran teilnehmen müssen, wenn sie in die Akademie wollen – doch selbst die haben Verständnis dafür, dass ein faires Auswahlverfahren so einen Tag erfordert. Er kommt jenen zugute, die noch nicht verankert sind. Wie eben einem Studenten im 6. Semester, der den Zeitaufwand allerdings offenbar nicht als Chance, sondern als Zumutung empfand. Der Frust, dass die Akademie dann ganz abgesagt wurde, ist völlig verständlich. Die Wut über den Aufwand nicht. (Nebenbei: Bei dieser geringen Frustrationstoleranz möchte man den Autor fast davor beschützen, jemals einen wochenlang recherchierten und ausgearbeiteten Projektantrag, ein Exposé oder Konzept einzureichen.
Zweitens ist der Text nicht, wie von manchen behauptet, mutig, systemkritisch oder gar –verändernd – sondern im Gegenteil: systemstabilisierend. Das sieht man schön daran, wie blind der Autor auf die Teile-und-Herrsche-Strategie zwischen alt und jung hereinfällt. Konkret schreibt er: Im ORF „ gibt es Kollegen die noch in alten Verträgen stehen, welche im Vergleich zur Marktsituation vollkommen unangebracht sind. Im ORF verdient ein Kameramann mit altem Vertrag doppelt so viel wie in der Branche üblich. (...) Wenn es also heißt „Wir müssen sparen!“, dann bedeutet das nicht, dass das stattliche Einkommen älterer Kollegen gekürzt wird, sondern dass, wie in meinem Fall, die Ausbildung junger Journalisten auf der Strecke bleiben muss. 1800 Euro sind dem ORF für meine Ausbildung zu viel.“ Nicht nur, dass hier jemand ganz selbstverständlich eine bezahlte Ausbildung zusätzlich zum Studium als Anspruch formuliert, dessen Nicht-Erfüllung Empörung rechtfertigt – was „im Vergleich zu Marktsituation“ ganz sicher „vollkommen unangebracht“ ist. Es soll dafür das Gehalt älterer Kameraleute im Einklang mit der „Marktsituation“ halbiert und prekarisiert werden. What a f*cking sense of entitlement. Sorry, aber das ist kein Protest, der meine Unterstützung hat.
Diese Teile-und-Herrsche-Spaltung zwischen alt und jung zieht sich übrigens auch durch die Kommentare einiger junger Kollegen. Sie ist mir unverständlich. Es ist unfair und schlecht für alle, wenn Berufsanfänger keine Chance bekommen und jahrelang in Praktika und Werkverträgen festhängen. Aber ich habe gerade im letzten halben Kündigungen erlebt, die mindestens genauso weh tun: von 40-jährigen mit zwei kleinen Kindern zu Hause. Von sehr fähigen 55-jährigen, die nie etwas anderes waren als Journalist – und das perfekt können. Von Fotografen, die nach 20 Jahren Arbeit für dasselbe Medium auf der Straße stehen. Das ist um nichts schöner – und sowas einzufordern, um selbst eine Chance zu bekommen, zeugt einfach nur von Blindheit. Die Grenze verläuft nicht zwischen alt und jung, sondern zwischen Redaktionen und Eigentümer-Konzernen, die mitten in einer schweren Krise ihre Rendite-Erwartungen eher noch steigern. Wer das ausblendet und jene zum Feind macht, die noch einen angemessenen Vertrag haben, hat meine Solidarität nicht.
Und übrigens: Dieses „früher“, in dem es Anfänger so einfach gehabt haben sollen – wann soll das gewesen sein? In den letzten 10 Jahren jedenfalls nicht. Medien waren prä-Internet ein notwendiges Gebrauchsgut: Ohne sie hatte man keine Nachrichten, keine Kleinanzeigen und kein Kinoprogramm. Keine Filme, keine Serien und keine Fußballergebnisse. Das ist vorbei, seit es Internet gibt, und damit auch die einfachen Zeiten. Und das ist schon etwas länger her.
Drittens: Als letztes im Text kommt die große Geste. Zitat: „Ich bin wütend. Ich bin enttäuscht. Es tut verdammt weh am eigenen Leib zu spüren, wie wenig der Nachwuchs im Journalismus wert ist! Ich will Journalist sein weil ich die Welt besser machen will. Ich will Menschen eine Stimme geben, die keine haben oder zu schwach sind sie zu erheben. Ich will die Mächtigen kontrollieren und aufdecken wenn sie ihre Macht missbrauchen damit sie sich vor den Bürgern verantworten müssen. Ja, ich bin Idealist. Ich bin bereit für meine Werte Opfer zu bringen. Heute habe ich gesehen, wie viel mein Idealismus Wert ist: genau gar nichts!“
Dieser Absatz ist doppelt ärgerlich. Die Missstände liegen auf de Straße, und wer sie aufdecken und „Menschen eine Stimme geben, die keine haben oder zu schwach sind sie zu erheben“ will, kann das so leicht wie nie zuvor. Equipment ist billig, digitales Publizieren fast gratis, es gibt eine Vielfalt von Wegen zu einem Publikum – und es ist seltsamerweise sogar leichter als früher, bei einem Verlag ein gedrucktes Buch zu publizieren. Wer etwas zu sagen hat, kann das völlig ohne traditionelle Medienunternehmen tun. Nur: Um Verbreitung und Finanzierung muss man sich dann eben selbst kümmern. Insofern geht es dem Autor wohl nicht allein darum, Missstände zu publizieren – das könnte er – sondern darum, die (im Fall des ORF öffentlich finanzierte) Plattform geboten zu bekommen, auf der sich andere um Finanzierung und Verbreitung kümmern. (Er korrigierte mich von Plattform auf Chance – ich sehe den Unterschied nicht.) Das ist legitim, und jedem zu wünschen. Aber: Ohne konkrete Geschichte/Recherche vom „System“ (zu dem der ORF natürlich gehört) eine Plattform für Systemkritik einzufordern, und das auch noch gut bezahlt und mit dazu gelieferter Ausbildung, ist geradezu absurd. Im kommerziellen Mainstream muss man sich solche Räume erkämpfen – am besten, indem man zeigt, dass es Publikum dafür gibt. Ein Recht darauf, das beleidigten Rückzug rechtfertigt, gibt es nicht.
Und noch ein Nachtrag: Einige Kommentare bezogen sich auch auf mich persönlich. „In den goldenen Zeiten des Print großgeworden“ und von „gemachten Nester“ war da zb zu lesen. Sorry, Leute – aber ich bin dafür die falsche Adresse. Ich war mit 37 das erste Mal angestellt (2010), meine Bücher waren selbstfinanziert, und im Journalismus begonnen habe ich 2002, in der Magazinkrise, mit der Neugründung eines Menschenrechtsmagazins und Zeilenhonoraren. (Da hatte ich aber schon ein abgeschlossenes Studium, einen Master of Arts, fünf Jahre Ausland, fünf Jahre Berufserfahrung im Feld internationale Politik und eine Journalistenausbildung hinter mir.) Ich fand das genau richtig so, hatte viel Spaß und Befriedigung dabei und würde es nicht anders machen – aber bitte richtet den „ihr hattet es viel besser“-Rant an jemanden anderen.
That said: Ich verstehe den Frust, und in Maßen auch, dass die Reaktion in solchen Momenten nicht sehr reflektiert abläuft. Und ich gönne es jedem von ganzem Herzen, gleich nach dem Studium eine sichere, gut bezahlte Anstellung in seinem Traumberuf zu finden. Es hat nur nicht viel Sinn, zu glauben, es gäbe ein Recht darauf, dass irgendwer anderer dafür sorgt – oder gar die Welt es einem schuldet. Das gilt für uns alle.