Griechenland: Der 50-Milliarden-Privatisierungs-Schmäh

Griechenland: Der 50-Milliarden-Privatisierungs-Schmäh

Es ist ein Detail, das zeigt, wie unfassbar fahrlässig bei der neuerlichen „Rettung“ Griechenlands mit Zahlen umgegangen wird: Am Montag wurde ein „Privatisierungsfonds“ beschlossen, in den Griechenland Staatseigentum einbringen und unter Troika-Aufsicht um 50 Milliarden Euro verkaufen soll. Die Hälfte des Geldes – 25 Milliarden – soll in die dringend notwendige Rekapitalisierung der griechischen Banken laufen, die derzeit an der Kippe stehen. Der Rest soll halb-halb aufgeteilt werden: 12,5 Milliarden in Schuldentilgung, 12,5 Milliarden in die griechische Wirtschaft.

Das klingt verdächtig einfach. Wenn der griechische Staat die ganze Krise über 50 Milliarden rumliegen hatte, warum haben die vorigen Regierungen den Schatz nicht gehoben?

Ich habe mir deshalb angesehen, wo das Geld herkommen soll. Das Ergebnis ist: Es handelt sich um eine reine Fantasiezahl. Jeder, der sich auch nur peripher mit dem Thema Griechenland beschäftigt (und da sollten die Finanzminister der Eurozone dazugehören), muss wissen: Dieses Geld wird es nie geben.

Die Schätzung, dass Privatisierungen in Griechenland 50 Milliarden bringen sollen, stammt aus dem Jahr 2011. Ein Jahr zuvor sprach die Geldgeber-Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission noch von 5 Milliarden, die man durch Privatisierungen bis 2015 reinholen könnte. 2011 verkündeten dann die drei Institutionen auf einer Pressekonferenz den Plan, im selben Zeitraum 50 Milliarden einzunehmen. Das sorgte damals für einen Eklat (die griechische Regierung meinte, man hätte sie informieren sollen, bevor man den Verkauf ihres Eigentums verkünde.) Die Zahl war absurd hoch – das gesamte griechische Staatseigentum wurde damals auf unter 300 Milliarden geschätzt, und ein Großteil dessen, was ein Staat besitzt, ist nun mal unverkäuflich (wer kauft Landesstraßen?) Das Ziel wurde deshalb schon kurz später auf 23 Milliarden und Anfang 2013 auf 10 Milliarden gekürzt.

Aber auch diese Erlöse wurden bei weitem nicht erreicht.

Vorletzte Woche veröffentlichte der IWF eine Review zu Griechenlands Schulden. Zu Privatisierung steht da lakonisch auf Seite 8: „Die vierte Review im Juli 2011 veranschlagte 50 Milliarden, die bis Ende 2015 realisiert sein sollten. Die tatsächliche Rechnung zeigt bis zum ersten Quartal 2015 3,2 Milliarden – etwa 94 Prozent unter Ziel.“

Und als einen Grund führt das Papier auf Seite 4 an: „Die Hälfte dieser Erlöse sollten aus der Privatisierung der staatlichen Anteile an Banken kommen. Angesichts der hohen und steigenden Zahl fauler Kredite im Bankensystem ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich diese Erlöse materialisieren werden.“

(An diesem Punkt zeigt sich die gesamte Absurdität des neuen Privatisierungsplans, den der Gipfel diesen Montag beschlossen hat: Die Banken sind – bewiesenermaßen – unverkäuflich, weil sie wegen der Krise viel zu viele nicht einbringbare Kredite in den Büchern haben. Das hat sich die letzten vier Jahre über gezeigt, wurde eben erst vom IWF wieder festgestellt und hat sich in den letzten zwei Wochen verschärft. Und nun soll Griechenland aus dem Verkauf seiner Anteile jene Milliarden lukrieren, die es braucht, um ebendiese Banken zu rekapitalisieren.)

Der erhoffte Geldregen blieb also aus, der Besitz des Staates ist teils unverkäuflich, teils viel wenier wert als erhofft – denn für viele Assets gibt es nur einen Bieter, der den Preis diktieren kann. Der IWF stellte am 26. Juni fest, welche Erlöse nun realistisch wären: Möglich seien 500 Millionen pro Jahr. Wenn man diese Zahl der notorisch überoptimistischen IWF-Beamten glaubt, dann wird Griechenland also 100 Jahre brauchen, um die 50 Milliarden reinzuholen. Das wäre dann nun tatsächlich etwas zu spät für die Rekapitalisierung der Banken, den Schuldendienst und die Ankurbelung der Wirtschaft, für die das Geld verwendet werden soll.

Haben die Finanzminister und Staats- und Regierungschefs die frischen Berechnungen des IWF übersehen? Oder die letzten vier Jahre keinen einzigen Blick auf die Privatisierungsrealität in Griechenland geworfen? Oder warum um alles in der Welt wirft man so eine Zahl in den Raum und macht sie zur Bedingung für das dritte Hilfspaket?

Die abenteuerliche Trickserei hat jedenfalls drei Effekte:

1. Banken, Stromgesellschaft, Häfen, Eisenbahnen, Flughäfen, staatliche Unternehmen und vermutlich auch eine ganze Reihe von Inseln und Stränden wandern unter die Kontrolle der Troika, die auch bei Regierungswechseln, Streiks oder Gesetzesänderungen die Hand auf fast das gesamte verfügbare Staatsvermögen behält.EInen Privatisierungsfonds gibt es derzeit zwar auch schon – die Kontrolle wird nun aber weiter der griechischen Regierung entzogen. (Der deutsche Finanzminister Schäuble wollte den Fonds sogar in einem luxemburgischen Vehikel der KfW ansiedeln – also jener deutschen Entwicklungsbank, der er selbst vorsteht. Das hat Tsipras dann doch verhindern können.)

2. wird so verhindert, dass das griechische Parlament entscheidet, was mit den Erlösen geschieht: Der Zweck ist festgelegt. Die Pläne der Regierung Tsipras, die Rentenkürzungen durch Privatisierungserlöse abzufedern, sind so für immer abgedreht.

3. Können sich die Regierungen der Euroländer so das dritte Hilfspaket schönrechnen. Und das grenzt an Betrug an den Steuerzahlern der Euroländer – denn die haften für die 83 Milliarden, die jetzt an Griechenland fließen sollen.

Und das ist wohl das perfideste an der 50-Milliarden-Fantasiezahl: sie erlaubt es, den europäischen Bürgern die weitere Konkursverschleppung besser zu verkaufen. Griechenland ist seit 2010 bankrott und wird durch die \“Rettungspakete\“ wider alle Vernunft künstlich am Leben erhalten – auf Kosten der griechischen Bevölkerung und Wirtschaft, die dank der Sparprogramme seit Beginn der Krise um ein Viertel geschrumpft ist. IWF, EZB, alle Öknomen und die griechische Regierung erklären wieder und wieder, dass die Schulden nicht zahlbar sind. Das sagt die simple Mathematik, SELBST WENN man sie sich mit Fantasie-Zahlen schönrechnet. Griechenland ist pleite, und es wäre Zeit, dieser Tatsache ins Auge zu sehen und einen sinnvollen Schuldenschnitt zu setzen, anstatt das Elend durch ein weiteres Hilfspaket zu verlängern – auf Kosten der griechischen Bevölkerung und mit Haftung der europäischen Bürger.

ps Den IWF-Bericht gibt es hier: http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2015/cr15165.pdf