Das Islam-Dossier. Deutschland in Terror-Angst – undÖsterreich? Auf den Spuren einer Glaubensgruppe zwischen Radikalität &Moderne. Von Bastian Kellhofer, Hanna Simons, Corinna Milborn. NEWS Nr. 47/10 vom 25.11.2010.
Wien-Favoriten. Eine Disco am Rande der Stadt. Über tausend Jugendliche drängen sich vor der Bühne. Die Haare glänzen voll Gel, die Hemdensind eng, die Röcke der meisten Mädchen kürzer als kurz. Doch dazwischen sieht man immer wieder ein Kopftuch: Wir befinden uns im Club 34 – einem Treffpunkt der muslimischen, türkischen Jugend der Stadt. Und nicht alle sind davon begeistert, dass der Islam heute Einfluss auf das Nachtleben nimmt. „Heute gibt’s keinen Alkohol vor 1 Uhr“, motzen Ufuk, 19, und Nihat, 21, frustriert. Denn der Star des heutigen Abends, ein türkischer Rapper, will das nicht. „Das ist normal bei seinen Konzerten in der Türkei, aber wir dachten nicht, dass es hier in Wien auch so ist.“
Ortswechsel: Auch in der Moschee in der Pelzgasse nahe desWestbahnhofs dreht sich heute alles um die Hingabe. Von außen ist das Haus ein unscheinbarer Gründerzeitbau. Doch der helle Innenhof ist prunkvoll renoviert. Mosaikvertäfelungen und Teppichböden machen aus dem Raum einen Ort der Ruhe und des Innehaltens. 400 Muslime kommen hier jeden Freitag zum Mittagsgebet zusammen und richten ihre Körper gen Mekka zum Beten aus. Männer in Anzügenreden heiter mit Jugendlichen, kleine Buben versuchen, der Predigt zu folgen,und spielen dann doch lieber weiter.
Feindbild Islam. Die Disco und die Moschee – zwei Orte muslimischen Lebens in Österreich, die von innen banale Normalität ausstrahlen. Für viele Österreicher sind sie dennoch Orte der Angst: Im Zuge von Terrorwarnungen, Integrationsdebatten und Kopftuchstreits wurde der Islam zur Gefahr Nummer eins für Europa hochstilisiert. Und die Angst bekommt ständig neues Futter: Am Mittwoch wurden in Deutschland, Belgien und den Niederlanden zehn islamistische Terrorverdächtige festgenommen. In Deutschland wollen Innenminister mehr Polizei in „islamische Viertel“ schicken und stellen Muslime so unter Generalverdacht. In Österreich gibt es zwar keine Terrorwarnungen- doch das Unbehagen steigt.
Doch wie gläubig sind Österreichs Muslime überhaupt? Wie sehr hängen sie dem konservativen Bild des Islam an? Und sind sie gar wirklich gefährlich – oder ein ganz normaler Teil der österreichischen Realität?
So gläubig sind Muslime. Rund 500.000 Muslime leben in Österreich. Wie viele davon ihren Glauben überhaupt praktizieren, ist laut dem österreichischen Islam-Experten Thomas Schmidinger nicht erforscht. Innerhalb der Muslime reiche die Bandbreite von „Leuten, die sich als Atheisten betrachten, über solche, die kulturreligiös sind, bis hin zu jenen, die aus der Religion politisches Handeln ableiten“. Nur rund 15 Prozent stehen einer muslimischen Organisation nahe: „Nur eine Minderheit praktiziert den Islam so, dass alle Regeln eingehalten werden.“ Allerdings seien praktizierende Muslime im Alltag sichtbarer und würden daher als unverhältnismäßig große Gruppe wahrgenommen.
Der überwiegende Teil der Muslime in Österreich, sind sich Experten einig, hat mit Religion also nicht mehr am Hut als der durchschnittliche Taufscheinkatholik – und sie sind untereinander so verschieden wie der Rest der Österreicher. Doch diese wenig religiösen Muslime, die kein Kopftuch tragen, gern mal Alkohol trinken und nur zu Festtagen in die Moschee gehen, kommen in der öffentlichen Diskussion nicht vor. Das wurmt jene, die damit leben müssen, dass ihre Religion entweder mit Terror verbunden wird oder mit konservativen Auslegungen des Islam.
Kritik an Vertretung. Im Zentrum der Kritik steht die offizielle Vertretung der Muslime in Österreich: die Islamische Glaubensgemeinschaft Österreichs, in der derzeit – bis Juni – die Wahlen zueinem neuen Präsidium stattfinden. Muslime wie der grüne Bundesrat Efgani Dönmez fühlen sich von ihr nicht vertreten – und der Ärger steigt: „Die IGGiÖ vertritt eine eher fanatische Glaubensrichtung. Muslime, die daskritisieren, werden denunziert, verleugnet oder ausgeschlossen. Es bleibt nurmehr die konservative Schiene übrig. “ Tatsächlich ist der scheidende Präsident Anas Schakfeh, der die Glaubensgemeinschaft seit 1998 führt, im Brotberuf Konsulent des saudischen Kulturinstituts. In Saudi-Arabien herrscht eine extremkonservative Auslegung des Islam vor. Schakfeh selbst meint allerdings: „Mit der Auslegung des Islam in Saudi-Arabien beschäftige ich mich nicht.“
Zweiter Kritikpunkt: Die Glaubensgemeinschaft gebe zwar vor, für alle Muslime zu sprechen, vertrete jedoch nur eine konservative Minderheit, protestieren etwa die „Initiative Liberaler Muslime“, die nun eine eigene Vertretung gründen will, und zahlreiche Vertreter der liberalen Aleviten, die etwa ein Fünftel der österreichischen Muslime ausmachen. Für sie hat Schakfeh eine klare Antwort: „Aleviten sind keine Muslime, ich unterstütze, dass sie eine eigene Glaubensgemeinschaft gründen.“
Derzeit arbeitet die IGGiÖ daran, die Mitgliederzahlen zu steigern: 16.000 sind bereits als Wahlberechtigte eingetragen, nach dem Abschluss der Registrierung in Wien und der Steiermark werden sich die Zahlen,schätzt Schakfeh, verdoppeln. Das ist allerdings immer noch weniger als ein Zehntel der Muslime in Österreich. „Die Mehrheit fühlt sich hier nicht vertreten“, meint Islam-Experte Schmidinger.
Suche nach Identität. Unbestritten ist aber: Unter muslimischen Jugendlichen ist es „in“, sich dem Islam zuzuwenden. Wer in Österreich geboren ist und trotzdem immer nur als Ausländer gesehen wird, sucht eine neue Identität – und findet die oft im Islam. „Wir haben hier 60 bis 70 Prozent junge Leute. Die Rückkehr zu religiösen Werten ist spürbar. Die jungen Männer suchen wieder vermehrt Halt bei Allah“, so Numan Genc, der Generalsekretär der Union islamischer Kulturzentren in Österreich, die die Moschee in der Pelzgasse betreibt. Selbst in der Disco Club 34, in der es heute keinen Alkohol gibt, ist das spürbar. Als Sagopan, ein Rapper aus dem türkischen Samsun, nach Mitternacht die Bühne betritt, kocht der Club fast über. „Sagopan ist nicht wie die anderen Hip-Hopper“, erzählt die knapp bekleidete Bar-Frau in breitem Wienerisch, „er benutzt keine Schimpfwörter, sondern singt über Politik, Philosophie und seine Weltanschauung.“ Sagopan ist streng gläubig. Seine Message kommt in Favoriten gut an. Gefährlich ist sie nicht.
„Gefahr nicht unterschätzen“. Bedenklicher ist da schon der Zulauf zu den nationalistischen Vereinen, die etwa aus der Türkei nach Österreich kommen (s. Kasten Seite 48), und zu den kleinen, radikaleren Gruppen. Eine dieser Splittergruppen ist Hizb-ut-Tahrir – eine radikal-islamistische Partei, die in der islamischen Welt ein Kalifat errichten und die Scharia einführen will. In Deutschland ist die Partei verboten, in Österreich kann sie frei arbeiten. Shaker Assem, der Sprecher für den deutschsprachigen Raum: „Wir haben vor allem unter Jugendlichen derzweiten Generation Zulauf, die nach einer Identität suchen, weil sie hier nicht willkommen sind“ (s. Interview Seite 47).
Die 27-jährige gebürtige Bosnierin Amra (Name geändert) beobachtet in ihrem Umfeld ebenfalls ein verstärktes Interesse für die Religion. „Durch die Islam-Debatte fühlen sich auch junge, moderne Muslimeangegriffen, aber wissen nicht, wofür.“ Vielleicht mit ein Grund, warum ihr Exmann Zuflucht in einer berüchtigten Wiener Moschee suchte (siehe Kasten Seite 45). Dort habe sich der zwischen seiner bosnischen und österreichischen Heimat Hin und hergerissene akzeptiert und aufgehoben gefühlt.
Doch auch wenn die radikalen Gruppen intensiv werben: Noch hält sich der Zulauf in Grenzen. Das könnte sich ändern, wenn die Integrationspolitik weiter versagt – und eine neue Generation zwischen den Stühlen aufwächst.
Dennoch: Die Frage, ob Muslime eine Gefahr für die österreichische Gesellschaft darstellen, hält Schmidinger, Forscher an derUniversität von Minnesota, für falsch, „weil es, die Muslime nicht gibt“. Eine Gefahr gehe nur dann von einer Religion aus, wenn diese versuche, das Leben der Menschen und die Politik totalitär zu bestimmen: „Es gibt innerhalb der Muslime Gruppen, die das wollen, und solche, die das strikt ablehnen.“ Efgani Dönmez, „Muslim mit alevitischen Wurzeln“, sieht das ähnlich. „Vor dem Islam als Religion braucht sich niemand zu fürchten. Aber sehr wohl vor der politischen Instrumentalisierung durch Gruppen, die mit dem Ziel der schleichenden Islamisierung in Europa gezielt die Strukturen unterwandern. Diese Furcht ist berechtigt und real“, warnt der gebürtige Türke.
Generation zwischen den Stühlen. Im Grunde handelt es sich allerdings weniger um ein Problem der Religion als um ein Integrationsproblem. Auch der Ägypter Ramses, Schauspieler im aktuellen Milieu-Kurzfilm“Groll“, kennt die Identitätssuche unter Migranten der zweiten und dritten Generation. „Von uns wird immer verlangt, dass wir uns integrieren. Aber wie sieht diese Integration aus? Meine Freunde und ich sprechen fließend Deutsch, wir haben alle einen Job. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich erst ein akzeptierter Teil der Gesellschaft bin, wenn ich mein Kind Paul nenne oder plötzlich weiß im Gesicht werde.“
„Die zweite Generation ist die Übergangsgeneration“, glaubt die grüne Nationalratsabgeordnete Alev Korun. Die erste Generation der muslimischen Zuwanderer habe größtenteils nicht damit gerechnet, überhaupt in Österreich zu bleiben. Die dritte Generation beginne, Ansprüche zu stellen, weil Österreich für die selbstverständlich die Heimat sei.
Normale Österreicher. Die meisten in Österreich lebenden Muslime dürfte diese Debatte allerdings überhaupt nicht betreffen. Sie leben hier wie alle anderen auch, gehen zur Schule oder auf die Universität, haben anständig bezahlte Jobs oder ihre eigene Firma. Davon, jeden Tag zu beten, Kopftuch zu tragen oder ihre Töchter in die Zwangsehe zu schicken, sind sie weit entfernt. Sie begehen islamische Festtage so wie Christen Weihnachten oder Ostern – hauptsächlich als Familienfest. So wie Mahmut Orucoglu, ein Wiener Unternehmer: „Ich bin natürlich Muslim, ich bin auch so erzogen worden. Das heißt nicht, dass ich fünfmal am Tag bete. Es geht ja auch nicht jeder Christ jeden Sonntag in die Kirche.“ Von ihren Brüdern und Schwestern im Glauben fordern die modernen Muslime sehr wohl ein, sich zu integrieren. „Natürlich müssen sich Muslime anpassen, wenn sie hier leben“, meint Yasemin Sencalis, Sportmanagerin beim Wiener ASKÖ. „Die Österreicher müssen sich nicht anpassen, sondern einfach zuhören.“ Orucoglu sieht die“Chance, dass sich durch die Ausbildung der Imame und Lehrer in Europaeine Art europäischer Islam entwickelt und entfaltet“. Diesen Montag findet an der Universität Wien die Abschlussfeier für die ersten Absolventen des Lehrganges „Muslime in Europa“ statt. Die Ausbildung wird für österreichische Imame angeboten, das Interesse ist laut Uni Wien groß.
Die Lösung: Unterstützung für Fortschrittliche. Die Politikerin Alev Korun glaubt, dass sich das Problem im Lauf der Generationen entschärft: „Es wird eine Anpassung der Lebensgewohnheiten stattfinden.“ Die Politik müsse das in jedem Fall besser unterstützen -und zum Beispiel mehr mit fortschrittlichen Vereinen zusammenarbeiten oder dafür sorgen, dass muslimische Kinder die gleichen Chancen bekommen.
Jugendvertreterin Rodaina El Batnigi fordert flächendeckende Gesamt- und Ganztagsschulen ebenso wie ein eigenes Ressort für Integration: „Die Integrationsdebatte wird ja in Österreich teilweise falsch und unzureichend geführt.“
Efgani Dönmez fordert von seinen Politikerkollegenein radikales Umdenken: „Die Politik ist zu feige, um grundlegende strukturelle Änderungen durchzuführen.“ „Zuckerbrot und Peitsche“, also klare Gesetze, aber auch mehr Beratung, bessere Schulbildung, mehr Aufklärung – das ist das Rezept von Islam-Experte Schmidinger für ein besseres Zusammenleben. Er warnt vor einem wechselseitigen Hineinsteigern in Extremismen, ausgelöst durch die zugespitzte Islam-Debatte: „Ein gegenseitiges Aufschaukeln ist ein Weg in den Bürgerkrieg. Entweder wir schaffen es, ein friedliches Zusammenleben zu organisieren, oder die Lage wird eskalieren.“