Frauenhandel. Osas I. ist Opfer von Menschenhandel. Sie floh, zeigte die Täter an und brachte sich in Lebensgefahr – doch niemand ermittelt. Nun steht sie vor der Abschiebung. Von Corinna Milborn. NEWS Nr. 41/10 vom 14.10.2010
Osas ist 22. In ihrer Heimatstadt in Nigeria arbeitete sie als Krankenschwester. Auf den Fotos von damals sieht man eine junge Frau mit strahlenden Augen: Sie hatte große Pläne, wollte die Welt erkunden, in Europa arbeiten.
Jetzt sitzt sie uns abgemagert gegenüber, sie spricht ein gehetztes Englisch. Wenn man sie nach ihrer Zukunft oder ihrer Familie fragt, dreht sie den Kopf zur Seite und verstummt. Osas wurde Opfer von Menschenhandel, eines von 2,7 Millionen weltweit pro Jahr. Sie wurde im März 2008 unter falschen Versprechungen nach Österreich geschleppt und sollte 50.000 Euro an die Täter abzahlen – durch Arbeit in der Prostitution. Es ist das Schicksal von über 500.000 Frauen, die laut Amnesty International jährlich nach Westeuropa in die Prostitution verkauft werden. Kaum eine wagt es, zu fliehen oder sich gar an die Polizei zu wenden: Wer sich weigert, bringt sein Leben in Gefahr – und das seiner Familie.
Das ist auch, sagen Polizei und Justiz, das Hauptproblem bei der Bekämpfung von Menschenhandel. „Die Opfer haben zu große Angst, auszusagen. Deshalb kommen wir an die Täter schwer heran“, sagt Oberst Gerald Tatzgern, im Innenministerium für den Kampf gegen Menschenhandel zuständig. Doch Osas ist anders. Sie floh und zeigte die Täter bei der österreichischen Polizei an. Das war im September 2009.
Doch der mutige Schritt bleibt folgenlos. Niemand ermittelt. Kein österreichisches Gericht interessiert sich für die Namen der Täter. Osas hält nun ein Papier in der Hand: Darauf steht „Aufenthaltsverbot“. Das Opfer, das die Namen der Täter nennt und damit sich und seine Familie in Lebensgefahr brachte, steht vor der Abschiebung, während die Täter weiter ihrem Geschäft nachgehen. Was ist passiert?
Osas Geschichte beginnt in Benin City, einer großen Stadt im Süden Nigerias. Die Straßen bestehen hier aus rotem Staub, die Zukunftsaussichten für die Jugend sind miserabel. Osas verdient schlecht, will weg – eine Zukunft. Neben ihrem Job in einem Krankenhaus pflegt sie den kranken Nachbarn. Dessen Tochter lebt in Wien, und eines Tages sieht sie ein Foto der schlanken, strahlend schönen jungen Frau. „Komm nach Österreich, ich habe hier eine Computerschule, in der du arbeiten kannst“, schreibt diese ihr. „Ich organisiere alles.“
Mit falschen Papieren nach Wien. Osas zögerte. Benin City ist der Knotenpunkt des Menschenhandels aus Nigeria. Viele Zehntausend Mädchen wurden von hier aus nach Europa verschleppt. In den Schulen warnen Plakate davor, einen Job in Italien anzunehmen. „Es geht um Menschenhandel“, steht darauf. Doch von Österreich hatte Osas noch nie gehört. „Ich glaubte ihnen, es war schließlich die Tochter meines Nachbarn“, sagt sie.
Ein Nigerianer mit Wohnsitz in Wien besorgt Osas einen Pass. Darin ist ihr Foto, aber nicht ihr Name. „Seine königliche Hoheit“, wie der Schlepper voll Respekt genannt wird, hat die Beamten bestochen und den Namen seiner Ehefrau eintragen lassen.
Im März 2008 kommt Osas in Wien an. Die Tochter des Nachbarn holt sie ab und schickt sie mit einer abstrusen Geschichte zur Asylbehörde. Es ist ein typischer Schachzug der Täter: In Österreich dürfen Asylwerberinnen nicht arbeiten – aber sie dürfen legal auf den Strich gehen. Bis zur Abschiebung vergehen Jahre, in denen die Mädchen ihre „Schulden“ von bis zu 100.000 Euro abzahlen. In dieser Zeit sind sie versklavt. Dann entsorgt der österreichische Staat die ausgelaugte Ware, die Täter holen Nachschub.
Eingeschüchtert folgt Osas den Anweisungen. Doch in den nächsten Tagen merkt sie, dass sie in eine Falle getappt ist: Von einer Computerschule ist nicht mehr die Rede. Die angebliche Helferin stellt sich als „Madame“ – als Zuhälterin – heraus. Sie bringt sie in ihrer Wohnung unter und gibt ihr freizügige Kleidung. „Ich habe dich gekauft. Du schuldest mir 50.000 Euro, und du wirst sie auf dem Strich abarbeiten“, befiehlt sie. Doch Osas weigert sich – und flieht.
„Zurück nur als Leiche.“ „Ich wollte sofort wieder nach Nigeria zurück. Es war ja alles eine Lüge“, sagt Osas. Doch da bauen die Menschenhändler Druck auf. Osas kommt in einem Asylwerberheim in einer anderen Stadt unter. Die Täter machen sie ausfindig und beginnen, ihrer Familie zu drohen. Osas Bruder wird in ihrer Heimatstadt zusammengeschlagen und muss untertauchen. Ihr dreijähriger Neffe wird aus dem Kindergarten entführt und stundenlang festgehalten. „Sie wollten ihn erst herausgeben, wenn ich nachgebe“, sagt Osas. Und der Weg zurück nach Nigeria ist abgeschnitten. „Zurück kommst du nur als Leiche“, drohen die Täter.
Im September 2009 kommt es zum Showdown: Osas fährt zu einem Gottesdienst nach Wien und trifft auf „ihre“ Madame. Diese greift sie auf der Straße an, sprüht ihr Pfefferspray in die Augen und schreit, zurückgehalten von anderen Kirchenbesuchern: „Wenn du nicht arbeitest, lasse ich dich umbringen!“ Zu diesem Zeitpunkt weiß Osas, dass sie nichts mehr zu verlieren hat – und geht zur Polizei.
„Ich habe den Angriff angezeigt und die ganze Geschichte dazu erzählt“, sagt sie. Osas nennt die Namen der Täter, sie weiß auch von anderen Mädchen, die sie nach Europa gebracht haben. Sie ist eine Zeugin, wie sie sich die Polizei nur wünschen kann. Doch nach der Anzeige geschieht – nichts.
„Ich habe die Geschichte von Osas überprüft und glaube sie auf Punkt und Beistrich“, sagt Joana Reiterer, Gründerin der NGO Exit – eines Vereins, der sich auf die Betreuung von nigerianischen Opfern von Menschenhandel spezialisiert hat. Exit bringt die Anzeige erneut ein und beantragt Opferschutz – denn Osas hat mittlerweile ein Aufenthaltsverbot. Im April legt die Staatsanwaltschaft das Verfahren nieder, damit ist auch der Opferschutz hinfällig; die Vorwürfe seien nicht glaubwürdig. Einvernommen wurde Osas nicht.
„Wir können über laufende Verfahren keine Auskunft geben“, erklärt Michaela Schnell, Sprecherin der Staatsanwaltschaft – denn der Antrag auf Wiederaufnahme liegt seit Mai beim Landesgericht für Strafsachen. „Das wird entschieden, wenn es eben fertig ist“, sagt Richter Christian Gneist, Sprecher des Landesgerichtes. „Wenn die Dame in der Zwischenzeit abgeschoben wird, ist das leider nicht unsere Zuständigkeit.“
Entsetzen unter Experten. Unter jenen, die in Österreich gegen Menschenhandel kämpfen, löst der Fall Kopfschütteln und Entsetzen aus. Denn Österreich ist ein wichtiges Durchgangs- und Zielland für Menschenhandel – und hat keine gute Bilanz: Nur fünf Täter wurden 2009 wegen Menschenhandels verurteilt, dazu kommen 39 Verurteilungen wegen „grenzüberschreitenden Prostitutionshandels“. Im Menschenhandelsbericht des US State Department führt die US-Regierung eine Reihe an Kritikpunkten an Österreich auf: keine energische Strafverfolgung von Menschenhändlern, zu milde Strafen oder gar Freisprüche, mangelnde Kenntnisse von Staatsanwälten und Richtern, keine systematische Identifizierung von Opfern.
Auch im Fall von Osas liegt die Verantwortung wohl bei der Justiz. „Uns sind die Hände gebunden. Wir hätten hier Zugang zu den Namen von Tätern, dürfen aber nicht ermitteln, weil die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat“, sagt ein Polizist. Evelyn Probst von der Organisation LEFÖ/IBF, die Opfer von Menschenhandel betreut, sagt: „Manchmal ist uns völlig unverständlich, warum die Justiz Verfahren einstellt.“ Auch die Leiterin der Taskforce gegen Menschenhandel, Botschafterin Elisabeth Tichy-Fisslberger vom Außenministerium, sieht Nachholbedarf: „Es wird in den Ermittlungen nicht immer alles versucht – das ist sicher unser wundester Punkt. Hätte die Justiz mehr gut ausgebildetes Personal, wäre das sicher besser.“ Die Bereitschaft, dazuzulernen, ist allerdings nicht ausgeprägt: Im November sollte ein Seminar für Richter und Staatsanwälte stattfinden – es wurde wegen Mangels an Interesse abgesagt.
Nun droht die Abschiebung. Osas, das Opfer, dem niemand zuhört, steht unterdessen vor der Abschiebung. In der Woche vor unserem Treffen war die Fremdenpolizei dreimal in ihrem Quartier, um sie zu holen. „Osas war nur deshalb nicht greifbar, weil sie wegen einer Krankheit woanders übernachtet hat“, sagt ein Betreuer. „Sonst wäre sie wohl schon in Nigeria.“ Exit hat nun beschlossen, einen neuen Asylantrag zu stellen. Wird er abgelehnt, dann wird Osas in ihre Heimat verfrachtet – dorthin, wo die Menschenhändler drohen, an ihr, die sie angezeigt hat, ein Exempel zu statuieren. Die Täter gehen unterdessen ihren Geschäften in Wien nach. Sie wurden nicht behelligt.
Wenn man Osas nach ihrer Zukunft fragt, bricht ihre Stimme. „Ich habe Angst“, sagt sie. Und: „Ich will aussagen. Bitte, hört mir zu.“