Corinna Milborn meint, die SPÖ braucht eine starke Ansage zur Integrationspolitik. NEWS Nr. 41/10 vom 14.10.2010. Ressort: Meinung
Wer die Auftritte der Wiener Parteien beobachtet hat, ist vom Ergebnis der Wien-Wahl nicht überrascht. Es gab in diesem Wahlkampf nur einen Spitzenpolitiker, der, völlig eins mit sich und seiner angemaßten Rolle als Rächer der Unterdrückten, seine Botschaft mit voller Leidenschaft vertrat: Das war Heinz-Christian Strache. Und Strache war auch der Einzige, der die zwei Themen, die der ärmeren Hälfte der Stadtbevölkerung auf den Nägeln brennen, von Beginn an offensiv besetzt hat: Integration – bzw. der Mangel daran – und die Zukunftsängste der unteren Mittelschicht, die Strache platt, aber gekonnt ebenfalls mit dem Schlagwort „Ausländer“ verknüpfte. Die anderen Parteien hechelten hinterher und fanden sich so bei der Integrationspolitik entweder in der Defensive – oder versuchten (wie die ÖVP), sich unbeholfen rechts anzubiedern, was kläglich scheiterte.
Dabei war abzusehen, dass das Thema wahlkampfbestimmend wird: Denn Wien hat tatsächlich ein Integrationsproblem. Es hat wenig mit Neuzuwanderung zu tun, sondern mit einer Schicht von Migrantenkindern, die in Österreich aufgewachsen sind, aber – ständig als „Türken“ oder „Ausländer“ bezeichnet – nicht dazugehören. Die Gräben zwischen ihnen und der „alteingesessenen“ Bevölkerung werden täglich tiefer. In den Volks- und Hauptschulen, in denen die neue Generation heranwächst, ist die Spaltung schon fast gänzlich vollzogen.
Wien züchtet sich hier eine wachsende Gruppe perspektivenloser, stigmatisierter junger Menschen heran, die als Angriffsfläche für jene herhalten, die den Abstieg fürchten. Die Folgen sieht man in anderen Großstädten: Wut, ein Hang zu fundamentalistischen Gruppen, Ghettos. Die FPÖ spricht also die richtigen Fragen an, gibt aber eine fahrlässig gefährliche Antwort: Denn Strache setzt auf noch mehr Spaltung und heizt die Konflikte so an. Bei allen anderen Parteien fehlt die klare Ansage, wie diese Probleme in Angriff genommen werden sollen. Die SPÖ hat zwar einige Schritte für Integration gesetzt – doch nun geriet sie in die Defensive und setzte wieder auf einen Community-Wahlkampf ihrer konservativen Vorzeigemuslime, was alles andere als integrationsfördernd ist. Ebenso wie die Strategie, Probleme totzuschweigen, um der Rechten nicht in die Hände zu spielen – denn so überlässt man ihr das Feld.
Doch die Zeit des Wegsehens ist vorbei. Wien wird, wie alle Großstädte, wachsen. Die Verteilungsfrage wird brennender, und die Zahl der Menschen mit Migrationshintergrund wird selbst ohne Zuzug jährlich größer. Für das Zusammenleben in einer Weltstadt braucht es offensive Konzepte, die mit ebenso viel Leidenschaft vertreten werden, wie Strache das mit seiner Sündenbockpolitik tut. Es ist zu hoffen, dass der Erfolg der FPÖ ein Weckruf war: „Weiter wie bisher“ genügt nicht mehr.
Die neue Stadtregierung braucht einen Entwurf für eine gemischte Gesellschaft, der klar vermittelt: In dieser Stadt gelten die Regeln für alle, dafür haben alle die gleichen Chancen. Und sie muss sich ihre eigenen Zukunftsthemen zurückerobern: Denn Bildung, Arbeitsmarkt und selbst Wohnbau wurden in diesem Wahlkampf zu Chiffren für das Ausländerthema. Das haben sie nicht verdient.
Doch leider wird so ein Entwurf, der mit Leidenschaft vertreten wird, mit dem logischen Koalitionspartner nicht gelingen: Der rot-schwarze Stillstand auf Bundesebene war mit verantwortlich für die Wut auf „die da oben“ und damit für den Wahlerfolg der FPÖ. Warum eine Koalition ausgerechnet mit der Wiener ÖVP mehr Drive haben sollte, ist nicht einzusehen. Die Grünen leiden zwar manchmal noch an Multikulti-Illusionen, hätten aber mit Maria Vassilakou und Senol Akkilic zumindest zwei Politiker, die dem eine klare Linie entgegensetzen. Die stärkere Ansage für einen Wandel wäre Rot-Grün allemal. Und eine starke Ansage ist jetzt dringend notwendig.