Corinna Milborn über die Chancen in der Katastrophe: Das Desaster Deepwater Horizon zeigt, dass das Ölzeitalter am Ende ist. Es kann ein Katalysator für eine Energiewende werden. NEWS Nr. 23/10 vom 10.06.2010. Ressort: Meinung
Wir sind der größte Erzeuger, der führende Besitzer von Reserven und verfügen über die größte Explorationsfläche“, steht im aktuellen Jahresbericht von BP über die Tiefwasserbohrungen im Golf von Mexiko. Der Konzern war stolz auf sein Know-how, Öl aus unmöglichen Tiefen zu pumpen. Das war vor dem 20. April. Dann explodierte die Deepwater Horizon.
Jetzt sieht die Welt einem Konzern, der sich als Musterbeispiel der Hochtechnologie präsentierte, fassungslos bei seinen hilflosen Versuchen zu, den Ölaustritt zu stoppen: Erst scheiterten Tauchroboter. Dann wechselte man erfolglos auf eine Art Spülmittel (praktischerweise für BP ist der Produzent eine Tochterfirma). Als Nächstes schüttete BP Gummiteile und Schlamm in das Loch. Man war an ein Kindergartenkind in der Sandkiste erinnert. Warum die Methode nichts gebracht hat, konnte uns der Konzern nicht erklären. Jetzt fängt eine antik anmutende Saugglocke einen Teil des Öls ab – erwischt dabei aber nur die Hälfte. Während 20.000 Helfer Vögel putzen und die Küste reinigen, fließen weiter täglich bis zu 1,5 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko.
BP setzt währenddessen alles daran, sich an die Spitze der meistgehassten Konzerne der Welt vorzukämpfen. Während für Rettungsmaßnahmen bisher 1,25 Milliarden Dollar ausgegeben wurden, beschloss der Konzern am Wochenende, fast das Zehnfache an Dividende an seine Aktionäre auszuzahlen. Den Vogel schoss eine multimediale Imagekampagne ab, in der sich der BP-Chef nach sechs Wochen des völligen Versagens für die Katastrophe „entschuldigt“. Das Geld, meinte sogar US-Präsident Barack Obama, wäre wohl besser in die Reinigung der Küsten investiert worden. Doch auch der US-Regierung selbst fiel in den sieben Wochen seit der Explosion nicht viel mehr ein, als 1.900 Schiffe loszuschicken, die den Ölteppich aufhalten sollten. Es gelang nicht. Bis zur Entlastungsbohrung im August wird weiter Öl in den Golf von Mexiko fließen.
Die Hilflosigkeit des Konzerns und der Politik angesichts eines simplen Lecks wirft ein grelles Schlaglicht auf ein unterschätztes Hochrisikogebiet der modernen Gesellschaft: Die Katastrophe im Golf von Mexiko ist nicht einfach ein Tankerunfall oder eine Kriegsfolge, und deshalb ist sie auch so schwer in den Griff zu bekommen. Ölförderung heißt im 21. Jahrhundert nicht mehr, ein Loch in die Erde zu bohren. Wer heute noch Öl und Gas in großen Mengen fördern will, muss in die Tiefsee, in Ölsande oder in die Arktis. Weder Sicherheitsmaßnahmen noch Regulierung konnten mit den neuen Fördertechnologien mithalten. Die Wut darüber steigt mit jedem Tag, an dem das Öl die Küsten verklebt.
Die Deepwater Horizon könnte damit zu einem Katalysator einer Energiewende werden: Das Ölzeitalter, das zeigt der Unfall deutlich, neigt sich dem Ende zu. Alternativen sind da: Windkraft, vernetzte Energie produzierende Wohnhäuser, Erdwärme und Solaranlagen warten nur darauf, dass sich Öl nicht mehr rentiert. Die Energiewende wäre nicht nur für die Umwelt eine Chance. Wenn etwas der dümpelnden Wirtschaft der Industrieländer einen Schub verpassen kann, dann das: die Abkehr vom Öl.
Die Deepwater Horizon könnte zu dem werden, was Tschernobyl für die Atomindustrie war: zwar nicht das Ende – aber der Beginn einer Umkehr. Nebenbei könnte sich BP, anstatt den Kopf in den Ölsand zu stecken, daran erinnern, was der Name des Konzerns bedeutet: 1999 benannte sich der Konzern von „British Petrol“ in „Beyond Petroleum“ um – jenseits des Erdöls. Mit einer 200 Millionen Dollar schweren Kampagne erklärte uns BP damals die bevorstehende Abkehr vom Öl. Was BP allerdings an erneuerbarer Energie seither pro Tag erzeugt, macht nicht einmal ein Tausendstel der Öl- und Gasproduktion aus. Die Deepwater Horizon wäre nun, elf Jahre später, ein Anlass, den Slogan auch umzusetzen. Nicht nur für BP.