Griechenland war nur der Anfang: Auch Spanien, Portugal und Irland schlittern in Budgetkrisen und bringen den Euro in Gefahr. Der Grundsatz der Eurozone – jeder zahlt seine Schulden selbst – ist damit nicht mehr zu halten. Ein Tabubruch. FORMAT Nr. 07/10 vom 19.02.2010.
Es ist erst knapp ein Jahr her, dass die politischen Führer der Europäischen Union vor die Kameras traten und – nach dem größten Bankenrettungspaket – das größte Konjunkturpaket der Geschichte der Union präsentierten. Banken und Konzerne wurden gerettet, Milliardensummen lockergemacht, als gäbe es kein Morgen. Doch „morgen“ ist jetzt: Nun, ein Jahr später, flattert die Rechnung ins Haus. Der Pleitegeier kreist nun über den Rettern. Die Staaten der Eurozone büßen, vorerst auf dem halb virtuellen Parkett der Finanzmärkte, ihre Bonität ein.
„Es ist typisch, dass nach einer Bankenkrise eine Krise der Staatsbudgets folgt“, sagt Kenneth Rogoff, der soeben eine Analyse der Finanzkrisen der letzten 800 Jahre herausgebracht hat. Doch so groß war sie zumindest in Europa noch nie: Ein Jahr nach der Rezession 1975 stieg das Budgetdefizit der Länder, die heute die Eurozone ausmachen, um 1,5 Prozentpunkte, nach dem Knick 1981 um 1,6 und 1993 nur um 0,5 Prozentpunkte. Doch jetzt ist die Eurozone um fünf Prozentpunkte stärker verschuldet als vor der Krise, ein Ende ist nicht in Sicht, und schlimmer: Jedes einzelne undisziplinierte Mitglied der Eurozone kann alle anderen mitreißen. Denn bisher hieß das Motto der Währungsunion: Jeder bezahlt seine Schulden selbst. Seit die EU jedoch letzte Woche de facto eine Garantie für Griechenland abgegeben hat, heißt es: Jeder zahlt seine Schulden selbst – wenn er kann. Sonst springen alle anderen ein. Dass schon die drohende Pleite Griechenlands – das nur 2,7 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU stellt – die Euroländer zu so einem Tabubruch bewegt hat, ist ein klares Signal: Wer jetzt trudelt, reißt alle anderen mit.
Die PIGS: Der neue Club Med. Bedenklich ist: Griechenland war erst der Beginn.Nun blicken die Finanzminister sorgenvoll in jene Länder, die nach lauschigen Urlaubsparadiesen klingen – und schon bei ihrem Eintritt in die Eurozone als Risiko galten: Portugal, Irland, Griechenland und Spanien haben – als Akronym ihrer Namen – den wenig schmeichelhaften Namen PIGS (oder PIIGS, mit Italien) umgehängt bekommen. Dieser macht derzeit Furore auf den Finanzmärkten: Auf den Bankrott dieser Euro-Staaten zu spekulieren scheint das Gebot der Stunde. „Bald wird auch auf den Bankrott der gesamten Eurozone gewettet werden“, sagt Christopher Whalen, Mitbegründer von „Institutional Risk Analytics“ in Los Angeles, den Nuriel Roubini zu den wenigen unabhängigen Banken-Analysten der USA zählt (s. Interview S. 22).
Der erste Kandidat für die neuen Pleitewetten ist Spanien, das infolge einer Schwindel erregenden Immobilienblase auch ohne Weltwirtschaftskrise in tiefe strukturelle Probleme gestürzt werde. Die globale Rezession hat die Lage nur verschärft: Eben noch ein Musterbeispiel für Maastricht-Disziplin, das sogar mit einem Budgetüberschuss prahlen konnte, geht Spanien nun auf über 12 Prozent Budgetdefizit zu. Die Staatsverschuldung ist dabei, sich zu verdoppeln – und es ist völlig unklar, woher Besserung kommen soll. Zwar hat die Regierung ein Sparpaket beschlossen und gelobt, das Defizit bis 2013 wieder auf drei Prozent zu drücken. Aber wie das den Einbruch der Exporte, den Schwund der Binnennachfrage und die explodierende Arbeitslosigkeit (bereits 20 Prozent) ausgleichen soll, ist selbst Regierungschef José Luis Zapatero schleierhaft. Und Spanien ist ein ganz anderes Kaliber als das kleine Griechenland: Die Wirtschaft des Landes ist viermal so groß.
Ähnlich drastisch ist die Lage in Irland, wo ebenfalls eine Immobilienblase platzte und dabei den Bausektor wegwischte, der fast ein Fünftel der Arbeitsplätze im Land stellte. Irland meldet für 2010 über 14 Prozent Defizit und ebenso viel Arbeitslosigkeit. Die Möglichkeiten der Regierung sind beschränkt: Die Löhne sinken, die Arbeitslosigkeit steigt, und das Geheimrezept des ehemaligen keltischen Tigers – mit Steuerfreiheit Konzerne anzulocken – ist ausgereizt. Dritter Wackelkandidat der Eurozone ist Portugal, das schon 2001 nur durch einen höchst kreativen Umgang mit den Zahlen einem Defizitverfahren der EU entging – und seither seine Lage nicht sehr verbessert hat. Dass die Staaten bisher trotzdem so problemlos Geld aufnehmen konnten, liegt an ebenjenem Euro, dem sie nun Probleme machen: Mit Deutschlands strenger Währungsdisziplin im Rücken des Euro konnten sich die ehemaligen Weichwährungsländer stärker verschulden, als es ihnen sonst zugestanden worden wäre. Nun müssen alle dafür geradestehen. Denn eines ist sicher: Einen Bankrott in den eigenen Reihen kann sich die Eurozone nicht leisten. Die Euroländer stehen damit vor der ersten großen Herausforderung ihrer Geschichte. Sie haben fünf Möglichkeiten, mit den Wackelkandidaten umzugehen:
1. Pleitekandidaten steigen aus dem Euro aus – bisher keine Option.
2. Sie werden gerettet – was zu erheblichem Unmut in Ländern wie Österreich und Deutschland führen wird, die für die Defizite der anderen zahlen müssten.
3. Sie inflationieren die Schulden weg und brechen damit mit einem Grundprinzip des Euro – angesichts dessen, dass die überhöhte Geldmenge eine Ursache der Krise war, kein kluger Ansatz.
4. Sie zwingen die Länder zu sparen und regen Lohnsenkungen an – ein sicherer Weg in Streiks und soziale Unruhen, wie Griechenland derzeit zeigt.
5. Sie erschließen gemeinsame Einnahmequellen. Doch Steuerpolitik ist nationale Sache – und um gemeinsame Politik zu betreiben, müsste sich die Eurozone von einer reinen Währungs- zu einer politischen Union wandeln. Damit hätten die PIGS dem Euro letztendlich vielleicht doch noch einen Gefallen getan.