Minderjährig, ohne Papiere, Callgirl und Teilnehmerin beim „Bunga-Bunga“: Karima El Mahroug, alias Ruby Rubacuori, war der Anfang vom Ende Berlusconis.
„Ich habe nicht vor, Berlusconi zu stürzen. Er hat mich immer gut behandelt.“ Karima El Mahroug, besser bekannt als Ruby Rubacuori, die „Herzensbrecherin“, schüttelt entschlossen den Kopf. Ihr Leibwächter hebt den Arm: Keine Fragen zum Prozess. „Ich werde aussagen, aber ich werde nichts gegen ihn sagen“, sagt sie noch.
Es ist März, Ruby war der Gast von Richard Lugner am Opernball, und wenige Wochen später beginnt der Prozess, der Italien in den Grundfesten erschüttert: Silvio Berlusconi, der längstdienende Regierungschef, steht vor Gericht. Der Vorwurf: Förderung der Prostitution Minderjähriger. Es ist der Anfang seines Endes: Der Glanz ist weg, der Premier der Lächerlichkeit preisgegeben, die Eurokrise tut ein Übriges. Im November muss Berlusconi zurücktreten.
Die Minderjährige, die den Rücktritt angestoßen hat, ist Ruby Rubacuori – mittlerweile 19 Jahre alt. Durch den Wirbel rund um den Prozess ist sie zur Celebrity geworden. Paparazzi lauern ihr auf Schritt und Tritt auf, Fotos verkauft ihr Verlobter, der Genueser Gastronom Luca Rizzo, an den Meistbieter. Und viele schlagen zu: Ruby in Lack und Leder, im hautengen blauen Kleid, tanzend an der Stange. Es entsteht das Bild eines ruchlosen Escort-Girls, das für Geld alles macht.
Ein Teenie namens Karima.
Doch das ist die eine Seite. Die andere heißt nicht Ruby Rubacuori, sondern Karima El Mahroug, ein junges Mädchen mit marokkanischen Wurzeln, eingewandert als Kind, immer noch ohne Papiere. Ungeschminkt sieht sie aus wie ein beliebiger Teenie, und wenn sie sich über ihren Gastgeber Richard Lugner lustig macht, explodiert das Lachen in ihrem Gesicht. „Ich will ein normales Leben: Mutter und Hausfrau, und Ruhe vor all diesem Wahnsinn“, sagt sie dann. Wer ist diese junge Frau, die den Fall Berlusconis anstieß? Und wie kam sie als illegale Einwanderin, mit 17 Jahren, auf die berüchtigten Bunga-Bunga-Partys des Cavaliere?
Karimas Geschichte ist die einer Kämpferin. Geboren in Marokko, holt sie der Vater mit neun Jahren nach Italien. In der Heimat war er Imam, ein fundamentalistischer Prediger. In Italien ist er nur mehr ein Gastarbeiter, der nach einem Arbeitsunfall keinen Job mehr bekommt. Die Wut und den Frust bekommt die Tochter zu spüren. „Er musste sich so viele Gürtel kaufen, er hat sie buchstäblich auf meinem Rücken kaputt geschlagen. Mit der Zeit wirst du wie ein Esel, du gewöhnst dich an die Schläge“, sagt Karima später bei der italienischen Staatsanwaltschaft.
Karima wird elf, sie geht in eine sizilianische Schule, will dazugehören. Der Katechismus-Unterricht fasziniert sie. Sie will sein wie alle anderen Mädchen – und mit ihnen zur Firmung gehen. „Ich habe meinen Vater um Erlaubnis gebeten. Er war gerade dabei, Kartoffeln zu frittieren, und hat mich mit dem heißen Öl überschüttet“, sagt Karima später aus. Die Narben sind im Gerichtsakt dokumentiert.
Flucht vor dem Prügel-Vater.
Der entscheidende Gewaltausbruch folgt wenig später: Der Vater prügelt Karima mit einem Gürtel, als der reißt, macht er mit dem Lichtkabel weiter. Am nächsten Tag in der Schule sieht die Turnlehrerin die offenen Wunden, holt die Polizei, die Karima nachhause bringt. Der Vater schreit sie an: „Geh!“ Und Karima geht. Sie ist zwölf Jahre alt, und sie steht zum ersten Mal auf der Straße.
Wenn Ruby heute von dieser Zeit spricht, wird sie wieder zu Karima. Kurz verschwindet der professionelle Charme. „Es war eine schlimme Zeit“, sagt sie. „Ich hatte keine Papiere, kein Zuhause und konnte nicht mehr in die Schule gehen. Eine Zeit lang habe ich mich noch mit alten Schulfreundinnen getroffen – aber es tat zu weh. Sie hatten alle eine Familie, eine Zukunft, jeden Tag Essen auf dem Tisch. Warum die und ich nicht? Warum muss ich für mich selbst sorgen?“ Dann streicht sie sich mit der Hand über die Stirn, wischt die Karima aus dem Gesicht. Setzt wieder das Ruby-Lächeln auf und sagt: „Es hat mich stärker gemacht. Ich wäre nicht, wer ich bin, wenn ich das nicht durchgemacht hätte.“
Karima landet in einem Heim für Drogensüchtige. Außer ihr sind nur Erwachsene dort, sie muss Holz hacken und Erde umgraben – und flieht. Sie steht mit dem Koffer in der Hand auf der Straße, als ein 46-jähriger Lokalbesitzer sie aufgreift: Er bietet der 13-Jährigen einen Job in einer Discothek und einen Schlafplatz in seiner Wohnung. Es dauert nicht lange, bis er nackt in ihrem Zimmer steht. Karima packt und haut wieder ab. Es folgen Jahre, in denen sie immer wieder von der Polizei aufgegriffen wird: Erst landet sie in einer psychiatrischen Anstalt, in der sie von einem 60-jährigen Insassen belästigt wird. Dann wieder nehmen sie wechselnde Männer bei sich auf – niemals ohne Hintergedanken. Karima kellnert, klaut, kämpft – und flieht, eins ums andere Mal. Die Kombination aus Jugend, Hilflosigkeit und Schönheit ist ein Fluch. Sie lernt, ihn für sich zu nützen.
Fall in die Glitzerwelt Mailands.
Mit 16 Jahren übersiedelt sie nach Mailand – und fällt von der Straße in die Glitzerwelt der Models, Millionäre, Fußballstars. Die Männer, die sie hier trifft, bieten ihr mehr als einen Schlafplatz: Einer lockt mit einer Rolex. Ein anderer bietet 4.000 Euro für eine Nacht. Karima legt Namen und Kindheit ab. Aus Karima El Mahroug wird Ruby Rubacuori, und Ruby wird Tänzerin, Showgirl und – so meint die Staatsanwaltschaft – Escort-Girl.
Es dauert nicht lange, bis Ruby in die Villa Arcore eingeladen wird. Dort thront der Premier, Silvio Berlusconi, gemeinsam mit seinem Fernsehchef Emilio Fede, 79, und lässt sich Mädchen bringen. Der „Lieferant“ ist Talentescout Lele Mora, die „Haremsdame“ Nicole Minetti, die einen steilen Aufstieg von Berlusconis Gnaden hinlegte: vom leicht bekleideten TV-Showgirl direkt ins lombardische Parlament. Sie führt Ruby in der Villa ein, der Premier findet Gefallen an ihr.
Schon Anfang 2010, erzählt Ruby, informierte sie Berlusconi, dass sie eigentlich Karima ist: erst 17, allein und ohne Papiere. Berlusconi verspricht, sich darum zu kümmern, und hält Wort: Als sie im Mai 2010 wegen eines Diebstahls verhaftet wird, greift er persönlich zum Hörer – und behauptet, sie sei die Nichte des ägyptischen Diktators Mubarak.
187.000 Euro hat Ruby Rubacuori von Silvio Berlusconi insgesamt erhalten, errechnete die Staatsanwaltschaft. Er habe ihr auch Geld geboten, damit sie schweige, sagt sie im Jänner im Fernsehen. Das mindert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie heute fest behauptet: „Es ist nichts passiert. Ich war nie Escort.“
Der Prozess, in dem das Gegenteil – und damit Berlusconis Schuld – bewiesen werden soll, ist am Laufen. Geladen sind Hunderte Zeugen, darunter Fußballstar Cristiano Ronaldo und George Clooney. Berlusconi nimmt als einfacher Bürger teil: Seine Amtszeit endete mit einem erzwungenen Rücktritt am 12. November. Der Lack war ab, die Affäre hatte den Premier zur alternden Witzfigur gemacht. Die Eurokrise kostete ihn schließlich den Job.
Ruby wird bei ihrer Aussage bleiben und Berlusconi nicht belasten. Sie hat gekämpft, durchgehalten, und jetzt, mit 19, ein Ziel erreicht: Hausfrau und Mutter zu werden. Ihre Tochter Sofia Aida Risso kam am 20. Dezember zur Welt. Der Vater ist ein Diskothekenbesitzer – doch diesmal ist alles anders. „Ich bin bei ihm endlich zuhause angekommen“, sagt sie, und man glaubt es ihr. Das zweite Ziel – endlich Ruhe – muss noch ein wenig warten: Der Prozess, der ihren Künstlernamen trägt, wird im Jänner fortgesetzt.
(NEWS, Dezember 2011)